Idylle der Hyänen
bekommen würde.
Seit drei Monaten las er aus demselben Buch vor. Und als er, nachdem er und Liz das mitgebrachte Essen auf dem Tisch verteilt hatten, fragte, ob seine Kollegen mit einer Fortsetzung einverstanden wären oder ob sie einen neuen Roman bevorzugen würden, hatte Micha Schell sofort geantwortet: »Lies einfach weiter!«
Sie kauten leiser als sonst.
»… bezeichnet Synchronizität ein sinnvolles zeitliches Zusammentreffen eines inneren mit einem äußeren Ereignis«, las Fischer, »ohne daß diese zwei Ereignisse kausal voneinander abhängig wären. Die Betonung liegt auf dem Wort sinnvoll…«
Hast du geglaubt, du kannst mich mit deinem bescheuerten Energieband ruhigstellen? dachte Liz. Ich hab euch gesehen, euch beide, im Moritz , ich wollt nämlich ein Bier da trinken. Gott sei Dank hab ich einen Blick durchs Fenster geworfen, weil ich wissen wollt, ob am Tresen ein Platz frei ist. Du Lügner, heut nacht schmeiß ich dein Scheißband in den Müll…
»… wenn ich in einem Laden ein blaues Kleid bestelle und man mir irrtümlich ein schwarzes schickt, gerade an dem Tag, an dem ein naher Verwandter stirbt, so berührt mich das als sinnvoller Zufall. Die zwei Vorfälle sind nicht kausal aufeinander bezogen…«
Was ist eigentlich mit den beiden Jugendlichen? dachte Emanuel Feldkirch, sind die hundert Prozent ehrlich? Die spielen da unten in der Tiefgarage Fußball genau dann, wenn sie die Leiche finden, bedeutet das was? Sie haben ausgesagt, sie würden nur bei Regen da spielen, glaub ich nicht, gibt es eine Beziehung zwischen ihnen und der Toten, hat Georg das nachgeprüft?
»Wenn wir zu beachten anfangen, daß gewisse Ereignisarten sich gerne zu gewissen Zeiten häufen, so beginnen wir die alten Chinesen zu verstehen, welche ihre ganze Medizin, Philosophie und sogar Architektur und Staatslehre auf einer Wissenschaft der ›Koinzidenz‹ aufgebaut hatten. Die alten chinesischen Texte…«
Was sollten vorhin die Anspielungen? dachte Georg Ohnmus, Verdacht? Das sind Kinder, die kicken, fertig. Wir haben genug Leute zu verhören, das ganze Haus ist voll, bis hoch zum zehnten Stock, ich steiger mich doch nicht in eine absurde Hypothese rein, sollen wir Fingerabdrücke der Kinder nehmen, oder wie?
»… fragen nicht, wie wir es tun, nach Ursache und Wirkung, sondern was womit zusammenzutreffen beliebt. Dieselbe Idee trifft man in der Astrologie an und in den Orakeltechniken der verschiedensten Kulturen…«
Der den Stellplatz gemietet hat, dachte Gesa Mehling, muß uns weiterbringen, oder ist das alles Zufall? Der Schrank, die Garage, der Ort? Nein, in diesem Haus gibt es jemanden, der Bescheid weiß, das haben wir doch schon geklärt. Niemand bringt eine Leiche in eine fremde Tiefgarage, was für eine abseitige Vorstellung! Wir wissen etwas, aber wir begreifen es noch nicht.
»… bahnte er eine neue Möglichkeit an, die Beziehung von Psyche und Materie zu verstehen, und auf diese Beziehung scheint besonders das Symbol des Steins hinzudeuten…«
Wenn das Kind Zeuge des Mordes wurde, dachte Esther Barbarov, dann ist es vielleicht einfach weggelaufen und irrt jetzt umher. Glaubst du das? Nein. Nein. Was hat die Mutter mit dem Mädchen angestellt, warum kennt die beiden niemand wirklich?
»Die Erwähnung der Synchronizität hat uns scheinbar vom Thema abgelenkt, doch mußte sie kurz erwähnt werden…«
Wir haben die ganze Wohnung auf den Kopf gestellt, dachte Micha Schell, und es ist klar, daß die zwei nicht verreisen wollten, aber es ist auch klar, daß jemand was aus dem Schrank im Kinderzimmer genommen hat, und ganz klar ist, daß die zwei, Mutter und Tochter, anscheinend in einer Siedlung von Blinden leben.
»… weil hier ein Begriff voller schöpferischer Zukunftsmöglichkeiten vorliegt. Zudem kommen…«
Sie hatte nicht vor, über Nacht zu bleiben, dachte Esther Barbarov, die Schminksachen und Toilettenartikel liegen alle in ihrer Wohnung. Sie ist in eine Falle gelockt worden.
»… synchronistische Ereignisse fast immer während der wichtigsten Phasen des Individuationsprozesses vor. Sie werden nur…«
Ich weigere mich, an eine Hinrichtung zu denken, dachte Neidhard Moll.
»… oft nicht beachtet, weil der einzelne heute noch nicht darauf eingestellt ist…«
Es tut mir leid, dachte Valerie Roland, aber ich muß dringend an meinen Platz zurück.
»… seine Träume und die Außenweltsereignisse in ihrer Sinngleichheit zu beachten…«
Hoffentlich findet er nichts, dachte
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