Idylle der Hyänen
habe, was der Pathologe verneinte.
Für einige Minuten kam die Sonne durch die Wolken.
»Sie war immer folgsam«, sagte Liz. »Was lernen wir daraus?«
»Nichts.«
»Bitte?«
»Was willst du daraus lernen?« An der Kreuzung zum Mittleren Ring ließ Fischer das Fenster heruntergleiten und streckte den Kopf ins Freie. Als die Ampel auf Grün sprang, fuhr er weiter, ohne sofort den Kopf einzuziehen.
»Obacht!« Liz klopfte aufs Lenkrad. Er gab Gas und schloß das Fenster.
»Wir lernen also nichts daraus«, sagte sie.
»Sie hatten keinen Kontakt, sie lehnen das Leben ihrer Tochter ab, sie sind gekränkt, weil sie ihnen das Enkelkind verweigert. Und die Mutter spioniert ihrer Tochter hinterher.«
»Sie wollt halt wissen, wie sie so lebt.«
»Ich möchte dich gern zitieren und fragen: Warum?«
»Was, warum? Du bringst mich total durcheinander, Mann!«
»Warum wollte die Mutter wissen, wie ihre Tochter so lebt?«
Liz knurrte und schaute aus dem Fenster.
»Sie ist neugierig«, sagte Fischer. »Sie ist selbstgerecht, sie sind beide selbstgerecht, auch der Vater. Was sollen wir daraus für unsere Ermittlung lernen?«
Weil Liz nicht antwortete, sagte er: »Hältst du es für möglich, daß sie in die Tat verwickelt sind?«
Liz schwieg. »Und du?«
»Nein.«
»Ich auch nicht.«
»Über die Gründe, warum sich Nele Schubart so oder so verhalten hat, kann ich dir nichts sagen. Wir haben ein paar Aussagen von Leuten, die sie kannten; was wissen wir von diesen Leuten? Genug, um zu begreifen, daß wir von ihnen über das Wesen der toten Frau nichts erfahren werden.«
»Sie hatte wechselnde Liebhaber.«
»Die hast du auch.«
Liz war sich nicht ganz sicher, aber sie fürchtete, daß sie rot geworden war; rasch drehte sie den Kopf wieder zum Fenster und hielt die Hand an die Wange, wie zum Schutz. »Woher willst du das wissen?«
»Sie hatte wechselnde Liebhaber, und was lernen wir daraus?«
»Sie ist mit irgendeinem Typen mitgegangen, der sich als Arschloch entpuppt hat, und der hat sie umgebracht. Wäre sie nicht so leichtsinnig und ständig hinter neuen Männern her gewesen, würde sie noch leben.«
»Vielleicht«, sagte Fischer. Von weitem sah er die rotweißen Absperrungen und die Schaulustigen auf den Bürgersteigen.
»Möglich wär’s.«
»Wir suchen also ein Arschloch«, sagte Fischer.
»Bist du schlecht gelaunt? Wer konnte das ahnen, daß diese Familie nichts miteinander zu tun haben will? Hat die Frau keine Andeutungen gegenüber Weningstedt gemacht? Dann hätten wir die Befragung telefonisch erledigt und uns den Weg sparen können.«
»Der Weg war schon richtig.« Hinter einem Streifenwagen hielt Fischer an, und sie stiegen aus. Es roch nach frischer Erde und Tannennadeln.
Im Haus, in dem Nele Schubart gewohnt hatte, traf er neben den vier Spezialisten der Spurensicherung auf acht Fahnder, unter ihnen Esther Barbarov und Micha Schell, die bereits für die mögliche Sonderkommission eingeteilt waren und die Ergebnisse ihrer Befragungen mit denen der Kollegen aus der Vermißtenstelle austauschten, die ebenfalls seit Stunden rund um den Nothkaufplatz Informationen sammelten.
»Ein scheues kleines Mädchen, das kaum auf- fiel«, sagte Esther.
Sie begleitete Fischer vor das Haus. Er hatte sich, die Hände in den Hosentaschen und die Füße in Schutzhüllen gewickelt, einen kurzen Eindruck von den Lebensumständen der getöteten Frau verschaffen wollen. Vor der Tür streifte er die Hüllen ab und zog seine Schuhe an.
»Allerdings behaupten mehrere Nachbarn, die Mutter sei streng und sogar hart zu ihrem Kind gewesen. Wir haben die Aussagen von zwei Anwohnern, einem Mann und einer Frau, die öfter als einmal beobachtet und gehört haben, wie die Mutter ihre Tochter anschrie, ohrfeigte und ihr androhte, sie am Wochenende ins Zimmer zu sperren.«
»Ich möchte mit den Zeugen sprechen.«
»Der Mann wohnt auf der anderen Seite des Platzes.«
Esther zeigte auf eine Hecke. »Und die Frau in der Barbierstraße, das ist hier um die Ecke.«
»Und wann wurden die Mutter oder das Kind zum letztenmal gesehen?«
»Immer noch keine verläßlichen Zeiten. Die beiden Zeugen, von denen ich gerade gesprochen hab, behaupten – unabhängig voneinander, sie kennen sich offenbar nicht –, daß sie Nele Schubart am vergangenen Freitag aus dem Haus gehen sahen, ohne ihre Tochter. Und Nele hatte am Freitag frei, das haben ihre Kolleginnen und der Geschäftsführer des Kaufhauses bestätigt.«
»Ich bin mir deshalb
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