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Idylle der Hyänen

Idylle der Hyänen

Titel: Idylle der Hyänen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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lächelte.
    »Sie täuschen sich nicht«, sagte Fischer.
    »Nein.«
    Fischer wartete, bis Su Chen zum Tresen gegangen war.
    »Warum bestreiten Sie, die Frau auf dem Foto zu kennen?«
    »Die Wirtin verwechselt mich.«
    »Das glaube ich nicht.«
    »Halten Sie mich für einen Mörder?«
    »Wieso denn?«
    »Sie haben gesagt, die Frau ist tot. Und ich will Ihnen meinen Namen nicht nennen, das ist doch verdächtig für Sie.«
    »Ich habe nicht gesagt, daß die Frau ermordet wurde.«
    »Sie sind doch von der Mordkommission. Meinen Namen sag ich Ihnen nicht, niemand kennt meinen richtigen Namen, nicht mal der Portier im Hotel. Weil ich ein neues Leben führe, die Vergangenheit ist vorbei. Oder möchten Sie, daß ich Ihnen was aus meiner Kindheit erzähl?«
    »Ihre Kindheit interessiert mich nicht.«
    »Was?« Der Mann trank einen Schluck Bier und blinzelte unruhig. »Das ist doch wichtig, die Kindheit von jemand! Für Sie als Kriminalisten steckt doch in der Kindheit der Kern allen Übels.«
    »Meinen Sie?«
    »Logisch. Dafür brauchen Sie heut keinen Psychologen mehr, das ist doch Allgemeinwissen.«
    »Erzählen Sie mir lieber, was Sie den ganzen Tag so machen«, sagte Fischer. »Was sind Sie von Beruf? Oder: Was waren Sie von Beruf?«
    »Von Beruf war ich Nutte. Aber ich hab nicht meinen Hintern hingehalten, sondern meinen Kopf. Kapiert?«
    »Ihre Spezialität waren Blowjobs?« Fischer hatte keinen Witz gemacht. Er machte nie Witze, nicht nur, weil er sich keine merken konnte oder ihm im richtigen Moment nie ein passender ein- fiel. Er stellte nur Fragen, er versuchte präzise zu bleiben. Auf der präsidiumsinternen geheimen Rangliste gaudikompatibler Kommissare zählte er zum unteren Mittelfeld, knapp vor Dr. Linhard; manche machten dafür seine klösterliche Vergangenheit verantwortlich, andere – wie Silvester Weningstedt – waren überzeugt, Fischer gewinne der menschlichen Natur generell wenig komische Züge ab. Seine Freundin Ann-Kristin dagegen hielt ihn für humorvoll, in bestimmten Situationen sogar für übermütig; wie er sich selbst einschätzte, verschwieg er.
    »Wollen Sie mich beleidigen, Mister?«
    »Dann habe ich Sie falsch verstanden«, sagte Fischer.
    »Wem haben Sie Ihren Kopf hingehalten?«
    »Geht Sie nichts an!«
    Der Mann vor dem Aquarium war achtundvierzig Jahre alt, als Fischer ihm begegnete und zunächst aus verkehrten Gründen mißtraute, weil er die Geschichte seiner Lügen unmöglich erahnen konnte. Und der Mann, der sich Seiler nannte, hauste, seit er in das Ost-West-Hotel gezogen war, in einer Vorstellung wie in einem Lebkuchenhaus; er knabberte an Erinnerungen, überfraß und übergab sich und stopfte sich von neuem damit voll, achtzehn Monate lang.
    »Soll ich Ihnen sagen, was ich bin?« Seiler krempelte die Ärmel seines grauen Pullovers hoch.
    »Sagen Sie mir, wie Sie heißen.«
    »Jakob Seiler. Ich bin Schriftsteller.«
    »Ein Schriftsteller in einem Hotel.«
    »Genau.«
    »Klassisch«, sagte Fischer.
    »Für Sie vielleicht.«
    »Wollen Sie mir etwas erzählen, oder brechen wir gleich auf«, sagte Fischer.
    »Wohin denn, Mister?«
    »In mein Büro.«
    »Was soll ich da?«
    »Reden.«
    »Das kann ich hier auch.«
    »Dann tun Sie es.«
    Seiler winkte der Wirtin, die hinter dem Tresen Teegläser abtrocknete. Sie kam sofort zum Tisch.
    »Noch ein Bier, bitte, und einen flüssigen Reis.«
    »Wenn Sie so viel trinken, müssen Sie später alles noch einmal erzählen«, sagte Fischer.
    »Warum denn?«
    »Weil Ihre Aussage sonst nicht verwertbar ist.«
    »Ist das ein Verhör jetzt?«
    »Ein Gespräch.«
    »Also«, sagte er zur Wirtin, »bringen Sie mir bitte ein Gesprächsbier und einen Gesprächsschnaps.«
    »Warum lügen Sie, Herr Seiler?«
    »Das hab ich doch grade erklärt: Ich bin Schriftsteller.«
    »Ich meine nicht, warum Sie lügen, wenn Sie schreiben, sondern wenn Sie sprechen.«
    »Ist das ein Unterschied?«
    »Ja.«
    »Für mich nicht.«
    »Sind Sie ein guter Schriftsteller?«
    »Was?«
    »Ist das, was Sie schreiben, gut?«
    »Ich sitz hier und trink mein Bier, und Sie fetzen hier rein!« Er trank den letzten Tropfen und schmatzte.
    Die Wirtin brachte die Getränke und wollte Seiler das leere Glas aus der Hand nehmen, aber er beugte sich nach hinten und drückte es an seinen Hals. Obwohl sein Verhalten kindisch wirkte, empfand Fischer die Geste als bedrohlich; ansatzlos schnellte sein Arm vor, er packte das Glas und hielt es der Wirtin hin, die geduckt und hastig zur Küche

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