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Idylle der Hyänen

Idylle der Hyänen

Titel: Idylle der Hyänen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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trippelte.
    »Was für Bücher haben Sie veröffentlicht?«
    fragte Fischer.
    Der Mann wippte nach vorn, trank den Reisschnaps, wischte sich über die Augen. »Was für Bücher? Kann ich Ihnen sagen: keins. Ich schreib fürs Fernsehen. Jetzt nicht mehr. Vor Hunderten von Jahren. Jetzt schreib ich einen Roman. Im Hotel. Klassisch. Ein paar Sätze hab ich schon. Elf. Elf Sätze in achtzehn Monaten, ist das gut?« Er trank einen Schluck Bier und verzog den Mund. »Ist Ihnen kalt?«
    »Nein.«
    »Warum ziehen Sie Ihr Sakko nicht aus? Tragen Sie eine Waffe?«
    »Nein.«
    »Sie kommen total unbewaffnet hier rein?«
    »Ja.«
    »Ich auch!« Er trank, stellte das Glas auf den Tisch, lehnte sich zurück, berührte mit dem Hinterkopf die Glasscheibe des Aquariums. »Ein Kommissar. Polizei. Ich hatte viel mit der Polizei zu tun. Vorbei. Glauben Sie an Gott?«
    »Ja.«
    »Ich hab mit Gott gesprochen, können Sie sich das vorstellen?«
    »Ich spreche auch mit Gott, wir sind nicht die einzigen.«
    »Mag ja sein.« In einer langsamen, gleichmäßigen Bewegung kippte sein Oberkörper auf den Tisch zu, rechts und links schlenkerten die Arme, die dunklen Augen schienen aus dem farblosen Gesicht zu wachsen, seine Stimme klang heiser und verschwörerisch. »Aber ich, Mister Fischer, hab nicht nur mit ihm gesprochen, er hat auch mit mir gesprochen!« Wie festgezurrt hing er über dem Tisch, sein Kinn berührte beinah das Bierglas, seine Lippen glänzten von Speichel.
    »Glauben Sie das?«
    »Wann war das?«
    »Am vierundzwanzigsten Dezember! Vor…« Ein Ruck ging durch seinen Körper, er hob die Schultern und legte beide Arme auf den Tisch. »Vor langer Zeit. Die Sonne schien. Kalt war’s, null Grad, harter Schnee unter meinen Fellstiefeln. Und ich fragte: Warum hast du das getan, Gott? Erst nichts, dann – ich schwör’s – die Antwort: Dein Großvater war krank, schwer krank, ein Säufer und ein Kettenraucher, ein alter Sack. Denk ich: Das darf nicht wahr sein. Meine Mutter weint natürlich. Auf dem Weg zur Kirche, in der Messe, auf dem Weg zum Friedhof, wo die Profis das Grab schon perfekt ausgehoben haben, fürs ewige Leben. Dauernd greift sie nach meiner Hand, ich will sie loslassen, aber sie ist stärker. Ich wein nicht, keine Zeit, muß Gott fragen, warum er das getan hat. Was sagt er? Dein Großvater siechte wochenlang im Krankenhaus rum, was erwartest du? Das ewige Leben, was sonst? Hast du das vergessen, wie er dagelegen hat und siechte? fragt er mich. Hab ich nicht vergessen, sag ich. Sagt er: Na also, na bitte, na gut. Und ich sag: Warum liegt Herr Dings, der am selben Tag wie mein Großvater eingeliefert wurde, immer noch da im Zimmer und darf mittags ein Weizenbier trinken und abends einen Roten und sogar rauchen? Antwortet er nicht mehr. Sag ich: Du bist ein Schwein, Gott, du gehörst geschlachtet, von mir aus soll’s jeden Winter bluten statt schneien. Da meldet er sich wieder, sagt: Du bist zu blöde, um das zu verstehen! Du bist zu blöde, Wastl, viel zu blöd, um das zu verstehen!«
    Er trank Bier, verschluckte sich, unterdrückte ein Husten, trank weiter.
    »Sie heißen Wastl«, sagte Fischer. »Sebastian?«
    »Kann schon sein!« rief er. »Du bist zu blöde, sagt er. Und ich sag: Du bist blöde, außerdem heiß ich Sebastian, das weißt du genau, weil ich getauft bin! Da hat er erst mal den Mund gehalten. Noch was: Als mein Großvater gestorben ist, im Krankenhaus, gab’s in der Krankenhauskantine Schnitzel mit Pommes frites, und ich hab alles aufgegessen. Alles verputzt. Vierundzwanzigster Dezember, schon vergessen? Und am einunddreißigsten Dezember Sonne, Kälte, harter Schnee, ja? Hinterher im Gasthaus: wieder Schnitzel und Fritten und zum tausendstenmal frag ich ihn: Warum hast du das getan? Sagt er: Du bist zu blöde für das alles, Wastl. Bin ich nicht, sag ich zu ihm, ich bind dich an einen Pfahl und schieß dir zwölf Pfeile in die Augen. Genau. Hab ich getan, in der Nacht. Und als ich aufwachte, schneite es, gottverflucht!«
    Er hob das Glas, sah an Fischer vorbei zum Tresen, zur Tür, setzte das Glas an die Lippen, zögerte und leerte es mit wenigen Schlucken.
    »Gott hat Sie beschimpft«, sagte Fischer.
    Der Mann, der sich Seiler nannte, hielt die Luft an, preßte die Lippen zusammen, blähte die Backen. Dann atmete er keuchend aus und klatschte in die Hände. »Ich ihn auch! Ich auch, ich auch! Sag ich zu ihm am Vierundzwanzigsten: Geschenke nebenan? Bunt eingepackt? Bis oben voll mit Lügen,

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