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Idylle der Hyänen

Idylle der Hyänen

Titel: Idylle der Hyänen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Monaten Probezeit und zwei Jahren Noviziat und vierzehn Monaten Profeß bin ich in den See gesunken wie damals, als ich vierzehn war, und ich hab in den Himmel hinaufgewinkt, so beglückt bin ich gewesen. Und ich hätt weitergewinkt, wenn die zwei Ruderer nicht gekommen wären und der eine nicht meine Hand gepackt und der andere mich nicht ins Boot gezogen hätt. Mutter Johanna und die anderen haben geglaubt, ich wär bloß leichtsinnig gewesen. Hab mir heimlich Tabletten besorgt. Ich hab Durst.«
    »Was für Tabletten?«
    »Zum Einschlafen, zum Ewigschlafen, zum Nimmeraufwachen.«
    »Aber«, sagte er und stupste mit der Nasenspitze ihr Ohr an, »du bist wieder aufgewacht und weggelaufen.«
    »Weil ich mich so verachtet hab, weil ich mich geekelt hab vor meinem Nichtsnutzsein, weil ich den lieben Gott beleidigt hab wie noch nie jemand, nicht einmal du. Weil sich noch nie eine Schwester in einem Kloster hat umbringen wollen. Und das ist das Schlimmste, was man seinem Gott antun kann. Das ist nie wiedergutzumachen.«
    »Doch.«
    »Nein.«
    »Sei still.«
    »Ich hab so Durst«, sagte Ines.
    »Als sie wegging«, sagte Sebastian Flies, »überdachte ihre Hand die Ruinen der ganzen Welt.«
    »Wie meinen Sie das?« fragte Fischer.
    »So.« Er hielt die linke Hand flach über seinen Kopf.
    »Wer ist diese Frau?«
    »Das werden Sie nie erfahren, und wenn Sie sie finden.«
    »Ist sie verschwunden?«
    Flies ließ die Hand auf den Tisch knallen. Die Wirtin, die sich leise mit ihrem Kollegen unterhalten hatte, kam hinter dem Tresen hervor.
    »Ein Wunsch, Herr?«
    »Bier.«
    »Und einen Kaffee«, sagte Fischer, ohne sich umzudrehen.
    »Keinen Tee, Herr?«
    »Nein.« Sie ging.
    »Sie sind die ganze Welt«, sagte Fischer und wartete, bis Flies ihm in die Augen sah, wenn auch nur für eine Sekunde.
    »Was ist?«
    »Was?«
    »Sie sind nicht nur die ganze Welt, Sie sind auch die Ruinen.«
    »Das begreifen Sie nicht, Mister.«
    »Wie heißt die Frau, die bei Ihnen war?«
    Flies wandte sich um und betrachtete das Aquarium.
    »Die Frau war nicht nur am Freitag bei Ihnen, sondern auch in den Tagen davor.« Flies antwortete nicht. »Ist das die Frau auf dem Foto? Ist ihr Name Nele Schubart?«
    Mit einer einzigen wütenden Bewegung fuhr Flies herum und knallte beide Hände auf den Tisch. »Nein! Die Frau heißt nicht Nele Schubart! Hören Sie mir nicht zu? Sind Sie taub? Hauen Sie ab!« Ein Husten schüttelte ihn. Er krümmte sich, wischte sich mit dem Handrücken über den Mund, über die Augen, keuchte und wippte mit dem Stuhl.
    »Dann ist die fremde Frau Ihr Alibi.«
    »Genau, Mister!«
    »Wo kann ich sie erreichen?«
    Die Wirtin brachte die Getränke. Flies sah ihr zu, wie sie das Bierglas und die Tasse hinstellte und mit gesenktem Kopf zum Tresen huschte. Wieder wartete Fischer, bis sein Gegenüber ihm in die Augen sah.
    »Weiß ich nicht«, sagte Flies.
    »Sie wissen nicht, wo sie sich aufhält?«
    »Nein.«
    »Ist sie nach ihrem Weggehen am Freitag noch einmal zurückgekommen?«
    »Nein.«
    »Sie lügen.«
    Flies griff zum Glas und trank; Schaum tropfte ihm vom Kinn. »An diese Frau…«, er tippte mit dem Mittelfinger auf das Foto, »kann ich mich nicht erinnern.«
    »Es ist ungefähr zwei Monate her, daß Sie mit ihr in diesem Lokal waren.«
    »Ehrlich?«
    »Das wissen Sie doch.«
    »Kann nicht sein.«
    »Wir fahren jetzt in mein Büro und protokollieren unser Gespräch«, sagte Fischer. »Und wir fangen noch mal von vorn an.«
    »Ich geh nirgendwo hin, ich bin müde.«
    »Wo ist die Frau, die bei Ihnen war?« Flies schüttelte den Kopf.
    Wenn es stimmte, dachte Fischer, daß die Frau tatsächlich existierte und die eine Woche – oder zwei Wochen, falls die Aussagen von Flies überprüfbar wären – in dem Hotel verbracht hatte, dann konnte es sich nicht um Nele Schubart handeln, denn diese hatte seit Anfang August jeden Tag – mit Ausnahme des vergangenen Freitags – im Kaufhaus am Rotkreuzplatz gearbeitet.
    Wozu sollte Flies eine Unbekannte erfinden, die sein Alibi nicht bestätigen konnte? Wieso weigerte er sich, ihren Namen und ihre Adresse preiszugeben? Er war betrunken. Er war ein Lügner.
    »Haben Sie den Namen Katinka schon einmal gehört?«
    »Nein«, sagte Flies sofort.
    Er hatte zu viel getrunken. Und er hatte alles mögliche erwartet, bloß keinen Polizisten. Sein Plan war, in der Ecke zu sitzen und Reis mit Hühnerfleisch zu essen, so viel Bier zu trinken, bis er fast die Besinnung verlor. Dann wollte er ins

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