Idylle der Hyänen
die Fetzen in den Papierkorb rieseln und beugte sich über die Theke. »Smith & Wesson, 357 Magnum, siebenschüssig, plus Munition?«
»Fünfhundert«, sagte Flies.
Grog wog die Waffe in der Hand, klappte die Trommel auf, drehte sie, roch daran, zielte auf ein Bild an der Wand.
»Ich geb dir hundertfünfzig und stell keine Fragen.«
»Ich habe sechshundert bezahlt.«
»Da bist du beschissen worden.«
In seinem Zimmer ließ Flies die Geldscheine auf den Boden rieseln wie Grog die Fetzen seines Lottoscheins, öffnete die zu einem Kühlschrank umfunktionierte Minibar, setzte sich davor und starrte hinein; außer einer Flasche Wodka lag nichts darin. Er legte beide Hände auf das mittlere Regal und ließ sie dort, bis er die Kälte spürte.
Die Kälte war das einzige, was er spürte.
In Weningstedts Büro hing ein Geruch nach Vanille. Liz schnupperte so unauffällig wie möglich und tippte auf ihre Kollegin Gesa Mehling, die ihr am langen Tisch schräg gegenübersaß, zwischen Georg Ohnmus und Walter Gabler. Der neunundfünfzigjährige Hauptkommissar war am frühen Nachmittag von einem privaten Termin, über den er nicht redete, in die Burgstraße zurückgekehrt.
Fischer, der sich links neben Liz gesetzt hatte, benutzte andere Düfte, und ihr Chef am Kopfende bevorzugte ein Rasierwasser, das Liz in freundlichen Momenten rassig und in unfreundlichen ätzend nannte; blieben Weber und Ohnmus als Vanillisten; Liz hatte ihre Zweifel, was die beiden betraf.
»Unaufgeregt«, sagte Hauptkommissar Ohnmus in seiner stakkatohaften Art. »Beide. Sohn und Mutter. Benjamin ist neunzehn, hat im Mai Abitur gemacht, Durchschnitt dreieins. Sein Vater war nicht dabei. Hast du ihn nach seinem Sohn gefragt?«
»Nein«, sagte Polonius Fischer. »Auch nicht nach seiner Frau. Er ist zu betrunken, wir werden ihn nach Hause schicken müssen.«
»Warum?« fragte Liz. »Er lügt, er ist verdächtig, er hat einen Mord erwähnt.«
»Er hat alles mögliche erwähnt. Bevor er nicht nüchtern ist, nützt er uns nichts.«
»Dann müssen wir ihn überwachen lassen«, sagte Liz.
»Den Antrag habe ich schon an die Kollegen gefaxt.«
»Wann denn?« sagte Liz laut und hielt sich die Hand vor den Mund. »Ist mir so rausgerutscht, superpeinlich!«
»Dir muß nichts superpeinlich sein«, sagte Fischer und wandte sich an Ohnmus. »Wie hat sein Sohn ihn charakterisiert?«
»Gar nicht. Ratlos. Nicht, daß er seinen Vater nicht mag. Er scheint nur sein Verhalten nicht zu verstehen.«
»Und zwar sein ganzes Verhalten«, ergänzte Gesa Mehling. »Nicht nur sein Verschwinden, das schien der Junge eher cool zu finden: daß einer von heut auf morgen seinen Koffer nimmt und weggeht und tatsächlich wegbleibt. Flies muß seine Familie völlig überrumpelt haben. Sein Sohn ist ein stiller, sanfter Typ, fast so groß wie du.« Sie nickte Fischer zu. »Lange, dunkelblonde Haare, Pferdeschwanz, Kinnbart, liest Zeitungen und Sachbücher über Ökologie. Ende des Jahres will er nach Amerika, aufs Land, in die Rockys, das wilde Leben ausprobieren.«
»Wie sein Vater«, sagte Fischer. »Nur weiter weg.«
»Was hat der Mann eigentlich die ganze Zeit in dem Hotel getan?« fragte Walter Gabler; er kaute ein Bonbon, und manchmal entfuhr ihm ein schmatzendes Geräusch, wofür er sich sofort entschuldigte.
»Bleiben wir bitte bei dem Sohn und der Mutter«, sagte Silvester Weningstedt, dessen Krawatte schief hing und der, seit er von der Pressekonferenz im Polizeipräsidium zurückgekommen war, mit schweren Müdigkeitsattacken kämpfte; mehrmals im Verlauf der Konferenz riß er die Augen auf oder stützte den Ellbogen auf den Tisch und zog mit dem Zeigefinger abwechselnd die Lider hoch.
»Die beiden haben sich arrangiert.« Ohnmus drückte einen Knopf auf seinem Diktiergerät, spulte vor und hörte zu; er trug einen Lautsprecherknopf im Ohr. Zwar benutzten auch Micha Schell und Esther Barbarov bei Vernehmungen vor Ort gelegentlich einen Recorder, Ohnmus jedoch nahm ihn als einziger auch während wichtiger Besprechungen zu Hilfe. »Der Sohn sagt, seine Mutter hat einen Freund. Ein Verhältnis. Sie arbeitet beim Fernsehen. Wie der Zeuge. In einer anderen Abteilung. Aktuelles. Tägliche Nachrichten, Reportagen. Ihr Mann schrieb Drehbücher.« Er schaltete das Gerät aus. »Einundzwanzig Jahre Ehe. Und dann haut er ab. Gründe? Die Ehefrau behauptet, reiner Frust, Überdruß, Haß auf seine Arbeit und sich selber.«
Walter Gabler erhob sich und setzte sich wieder.
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