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Idylle der Hyänen

Idylle der Hyänen

Titel: Idylle der Hyänen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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gibt keine Oberschwester Tarantula!« brüllte sie und entglitt seinem Eisengriff. Für einen Moment wirkte er überrascht. Und sie schlug ihm beide Fäuste ins Gesicht. Mit einer schnellen Bewegung legte er ihr den Arm um den Hals und drückte zu.
    Sie riß den Mund auf, zuckte, krächzte, ruderte mit den Armen, ihre Beine knickten ein. Er hielt sie fest umklammert, ging drei Schritte, blieb stehen, sie wurde schwerer, röchelte, prustete durch die Nase. Und er drückte fester zu.
    »Aufmachen!« rief jemand im Flur. »Hier ist Grog, machen Sie auf! Junge Frau! Antworten Sie!«
    »Antworte!« sagte Seiler und zerrte die Frau zum Schrank. Ihre Beine schleiften über den Boden, aus ihrem Mund krochen Laute. »Schau!« sagte er nah an ihrem Ohr. »Damit kann ich uns beide abschaffen, wenn du willst. Willst du? Erst du, dann ich. Eine andere Reihenfolge geht nicht.«
    »Nein«, wimmerte sie.
    »Ich brech die Tür auf!« rief der Portier von draußen.
    »Das ist meine eiserne Reserve«, flüsterte Seiler. Er hatte sich hingekniet. Die Frau lag mit ausgestreckten Beinen vor ihm, den Kopf im Nacken, mit schweißnassem Gesicht. »Sechs Patronen im Magazin. Soll ich dich erlösen? Dein Gott ist zu beschäftigt, für den ist dein Schicksal nicht so prickelnd. Für mich schon, Ines. Willst du was sagen?«
    Es gelang ihr, die Arme zu heben, sie wunderte sich darüber. Fast schaffte sie es, die Arme auszustrecken. Es kam ihr vor, als lockere Seiler seine Umklammerung; sie atmete durch den Mund, erleichtert. Dann faltete sie die Hände in der Luft, staunte über die unverhoffte Geste und röchelte.
    »Du bist… schon… gestorben, du hast…
    dich… schon… abgeschafft.«
    Er neigte den Kopf und hörte ihr zu. Dann ließ er sie los. Sie kippte von seinen Oberschenkeln und landete wieder mit dem Gesicht voran auf dem Teppich.
    »Genau!« sagte Seiler. Er beugte sich vor, legte die Waffe in den Schuhkarton zurück und das zerknitterte T-Shirt darauf und schloß die Schranktür.
    Als er sich umdrehte, sah er die Frau über den Boden kriechen. Sie zog das linke Bein hinter sich her, hustete in sich hinein und verschwand unter dem Bett.
    »Wir kommen jetzt rein!« Grog schlug gegen die Tür. Seiler stemmte sich in die Höhe.
    »Da bin ich schon«, sagte er und öffnete die Tür einen Spaltbreit.
    Vor ihm standen der Portier und das Ehepaar Morgenroth, das als Dauermieter im Ost-West-Hotel wohnte.
    »Sie sind ja voller Blut!« sagte Edith Morgenroth.
    »Ja«, sagte Seiler. »Und im Innern erst!«
    Später lagen sie in einer krummen Umarmung, Wange an Wange, unter dem Bett. »Danke«, sagte Ines, »daß du sie weggeschickt hast.«
    Sie hatten die Augen geschlossen und schwitzten und froren und fürchteten sich.
    »Ich hab nichts gelernt, nur Sterben, das hab ich sogar geerbt. Du hast vielleicht die Augen von deiner Mutter und die Hände von deinem Vater und das Talent von deinem Großvater. Bei uns wird das Verrecken vererbt, wie mein Vater sich ausgedrückt hat, da kann man nichts machen. Das alles hab ich der Äbtissin nicht erzählt.«
    »Was hast du ihr nicht erzählt?« fragte Seiler und drückte sich an die Frau, hoffte, so würden seine Schmerzen nachlassen.
    »Daß ich ins Kloster geh, um mich erlösen zu lassen. Ich sperr mich doch nicht freiwillig weg, so eine dumme Semmel bin ich nicht, wie mein Vater und der Brumm mich gern hätten. Wegen des Erlöstwerdens wollt ich Schwester werden. Schwester Irmengard. Die Selige, weißt du?«
    »Ja«, sagte er.
    »Und ich hab fast drei Jahr lang ausgehalten, und ich war schon beinah erlöst. Beinah. Ganz beinah, Jakob, leider nur ganz beinah.«
    »Ich heiß nicht Jakob«, flüsterte er, den Mund an ihrem Ohr. »Mein Name ist Sebastian, und ich heiß auch nicht Seiler, sondern Flies.«
    »Sebastian.« Nach einem Schweigen sagte sie:
    »Vielleicht hast du dich doch noch nicht abgeschafft, wie ich geglaubt hab. Sebastian. Du hast dich hier ins Hotel zurückgezogen wie der heilige Benedikt in die Höhle. Er wurde erhört.«
    »Ich nicht.«
    »Wer weiß.« Ihr Herz schlug heftig; plötzlich fiel ihr auf, daß seines ebenso stark pochte. »An Weihnachten wär meine zeitliche Profeß vorbei gewesen, und ich hätt’s geschafft gehabt. Hab ich nicht. Bin am dreiundzwanzigsten Juni zum See hinuntergegangen und rausgeschwommen, alles war blau und wundervoll, und ich hab gedacht: Jetzt komm ich zu dir, Mama, jetzt hab ich dich bald wieder. Darüber bin ich nicht einmal erschrocken. Nach neun

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