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Idylle der Hyänen

Idylle der Hyänen

Titel: Idylle der Hyänen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Schwein! Gut gemacht! Sitz in dem Zimmer, in dem früher das Ehebett stand und ich meinen Mittagsschlaf hielt, zwischen den zwei Vorfahren, mußte liegenbleiben, bis ich das Klicken des Windfeuerzeugs hörte, schweres Teil für ein Kind, dann sog ich den Rauch heimlich ein, den mein Großvater ausstieß. Und ich sag zum Fenster, am Vierundzwanzigsten, allein im Zimmer: Gut gemacht, Schwein! Weil: Gott, verstehen Sie, ließ also meine Großmutter nicht länger warten auf der anderen Seite. Sie war schon vier Jahre vorher hinüber, ich kannte sie nicht so gut. War erst drei, ich. Und ich sag zum Fenster: Wer an Heiligabend meinen Großvater verrecken läßt, soll selber verrecken! Drei Stunden saß ich da, allein im Zimmer, nachdem ich vom Spielen im schneeweißen Schnee nach Haus gekommen war, schwindlig vor Hunger, glauben Sie das? Und als ich ins Zimmer bin, hielt meine Mutter ihre Hand vor den Mund, ich schaute rauf zu ihrem verschwundenen Mund, sie sagte was. Dann schickte sie mich nach drüben. Vorher hab ich den Anorak ausgezogen und die Mütze und die Stiefel und hab Fellpantoffeln angezogen. Manchmal aß ich Pellkartoffeln in Fellpantoffeln. In der alten Küche, beim Kohleofen mit den Metallstäben. Kaffeekanne stand da immer. Töpfe und Pfannen standen da immer. Und im Büffet klirrte das Geschirr, wenn auf der Straße zwei Straßenbahnen gleichzeitig vorbeifuhren. Später installierte mein Großvater eigenhändig einen Ausguß aus Chrom. Saß dann da, trank Cognac und zündete sich eine Zigarette mit dem Windfeuerzeug an und betrachtete den Ausguß. Und Gott sagt: Und jetzt fährst mit deinen Eltern ins Krankenhaus, da gibt’s Schnitzel. Und im Krankenhaus, wo ich den Großvater nicht sehen darf, weil der Anblick eines Toten für einen Siebenjährigen angeblich schädlich ist, sag ich in der Kantine zum Teller: Liebes Schnitzel, mach, daß mein Opa wieder Wein trinken kann wie der Herr Dings im Nebenbett, mach, daß er wieder rauchen und Cognac trinken kann. Liebes Schnitzel, sag ich in der Kantine zum Teller und allein am Tisch, weil meine Eltern weißen Kitteln hinterhergerannt sind: Ich versprech, ich eß dich ganz auf, ich laß nie wieder was übrig, ich schwör’s, ich schwör’s, liebes Schnitzel. Mein Opa hat Hunger, sag ich zum Teller, riesigen Hunger, und wenn er dich ißt, dann wird er wieder lebendig, Schnitzelessen ist gesund, das hat er immer gesagt, und das stimmt auch.«
    Er hielt das leere Glas an den Mund und schmatzte wieder; für einen Moment sah es aus, als wolle er hineinbeißen.
    Im Halbdunkel bemerkte Fischer die Wirtin, die aus der Küche gekommen war; sie umklammerte eine Stuhllehne.
    »Warum erzählen Sie mir das?«
    »Mußte am Wochenende oft dran denken. Ich hab Durst.«
    »Was ist am Wochenende geschehen?«
    »Nichts.«
    »Nichts geschieht nie.«
    Mit gedämpfter Lautstärke erklang die Melodie von Bad Bad Leroy Brown. Fischer griff in seine Sakkotasche. »Ja?« sagte er in sein Handy.
    Der Mann, der Sebastian hieß, zündete sich mit seinem gelben Plastikfeuerzeug eine Zigarette an.
    10   Das Dach über den Ruinen
    » U nterstützung von allen Seiten«, sagte Silvester Weningstedt. »Alle Journalisten der Stadt helfen uns bei der Suche nach dem Mädchen. Was Besseres konnte denen im Sommerloch nicht passieren, noch dazu, wenn die Mutter tot in einem Schrank gefunden wird.« Er nahm den Telefonhörer in die andere Hand. »Und natürlich haben einige Reporter auf der Pressekonferenz nach dir gefragt. Ich habe ihnen erklärt, was du machst.«
    »Ich spreche mit einem Zeugen, der keiner sein will«, sagte Fischer.
    »So genau habe ich mich nicht geäußert. Kommst du voran?«
    »Wir brechen bald ab, ich nehme ihn mit.«
    »Das denkst du!« Seiler stand auf, schnaufte und ging mit wackligen Schritten zur Toilettentür; er öffnete sie und drehte sich noch einmal um. »Und jetzt auf Wiedersehen!« Er knallte die Tür hinter sich zu.
    »Will er abhauen?« fragte Weningstedt am Telefon.
    »Seine Lederjacke hängt noch hier. Warte einen Moment.« Fischer legte das Handy neben sein Teeglas, beugte sich über den Tisch und fingerte in den Taschen der Jacke, die schief über der Stuhllehne hing. Er zog einen abgeschabten roten Reisepaß heraus, nahm das Handy und gab seinem Chef den eingetragenen Namen und die Nummer durch; dann steckte er das Dokument zurück.
    »Warum lügt er so offensichtlich?« fragte Weningstedt.
    »Will er dich verarschen?«
    »Er hat mir aus seiner Kindheit

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