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Idylle der Hyänen

Idylle der Hyänen

Titel: Idylle der Hyänen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Moder des verwitterten Hauses am Waldrand, wohin er die Leiche gebracht hatte. Er wollte unter sein Bett kriechen und sein Verbrechen vergessen.
    Er wollte sie wiederhaben, er wollte, daß sie vor der Tür stand, wie gestern. Wie vorgestern? In der Zwischenzeit war so vieles geschehen. Er war mit seinem Auto aufs Land gefahren, weil die Frau ihn darum gebeten hatte, nachdem sie leise an seine Tür geklopft hatte, dreimal, viermal, und er schon befürchtet hatte, es sei Frau Morgenroth mit ihrem zwecklos halb geöffneten Morgenmantel. Dann hatte er geöffnet; Ines stand da und sagte: Nimmst mich mit, bitte? Gestern war das gewesen, gestern nacht um elf, er war sich jetzt ganz sicher. Er hatte ihr die Tasche abgenommen und die Tür hinter ihr geschlossen. Komm wieder, hatte er zwei Tage lang gedacht, komm wieder, ich hab doch deine Kette gefunden!
    Sein Blick fiel auf das Kruzifix an der Wand, und er grinste.
    Fischer sah an ihm vorbei zu Valerie Roland, die an ihrem Laptop saß und mit der Schulter zuckte.
    Sie robbten über den Boden und fanden die Halskette mit dem kleinen Kreuz nicht.
    »Kann man nichts machen«, sagte Ines, »erinnert mich eh nur an dunkle Zeiten.«
    »Wenn ich sie finde, bring ich sie dir«, sagte Flies.
    Ihr rotes Cape hatte sie schon angezogen, ihre Tasche stand gepackt bei der Tür.
    »Geh nicht weg«, sagte er.
    »Hier erstick ich sonst.«
    »Ich bezahl dir ein eigenes Zimmer, in einem anderen Hotel.«
    »Nein, Sebastian.« Sie nahm die Tasche und streckte die andere Hand nach der Klinke aus.
    »Du kannst Wastl zu mir sagen.«
    »Sebastian ist dein richtiger Name, und der paßt zu dir.«
    »Ich brauch keinen Namen mehr«, sagte er.
    »Du hast recht gehabt, ich hab mich abgeschafft, mich gibt’s nicht mehr.«
    Sie öffnete die Tür und drehte sich noch einmal um. »Der letzte Feind, der entmachtet wird, ist der Tod, heißt es, und das ist wahr. Du bist am Leben, Sebastian, und du bleibst am Leben.« Er legte die Arme um sie, und sie blies ihm sanft ins Ohr, wie seine Schwester es früher getan hatte. Er ließ sie los, weil er sich nicht erinnern wollte. Stumm standen sie sich gegenüber. Er traute sich nicht, sie noch einmal zu fragen, wohin sie ging; beim erstenmal hatte sie ihm keine Antwort gegeben, nur seine Hand auf seinen Mund gelegt. Vielleicht fuhr sie in ihr Heimatdorf und schwamm in den See hinaus. Nein, dachte er, nein. Er hätte ihr vorlesen können, was er in den achtzehn Monaten im Hotel geschrieben hatte, seine elf Sätze, um zu beweisen, daß er das Alphabet noch beherrschte; er hätte ihr sein kornblumenblaues T-Shirt schenken können, das so gut zu ihren lohfarbenen Haaren paßte, aber es war voller Blut gewesen und zerrissen. Bleib noch, sagte er in sich hinein. Dann hörte er, wie sie im Flur sagte: »Auf Wiedersehen, Herr Grog.«
    »Ziehen Sie aus?« fragte der Portier.
    Flies wartete, bis die Haustür ins Schloß fiel, dann sperrte er die Tür ab und ging zum Schrank. Er nahm die Waffe aus der Schuhschachtel und legte sie auf den mit Blättern, Stiften und Blöcken übersäten Schreibtisch, neben seine gelbe Reiseschreibmaschine. Die Waffe mit dem hartgummiverschalten Griff war zwanzig Zentimeter lang, der Lauf und die Trommel glänzten silbern. Flies hatte sie einem Händler abgekauft, den Waffenscheine nicht interessierten. Wofür er den Revolver brauchte, wußte er nicht, er säuberte ihn regelmäßig, ohne je geschossen zu haben, und versteckte ihn vor seiner Familie.
    Mit einem schnellen Griff hatte er die Waffe in der Hand und drückte den Lauf gegen die Unterseite seines Kinns; so verharrte er. Die Patronen waren in der Trommel; mit dem Daumen verschob er den Entsicherungsriegel. Achtzehn Monate, dachte er. Wenn sie ja gesagt hätte, hätte er Ines erschossen. Vorsichtig beugte er sich vor und knipste mit der linken Hand die Schreibtischlampe aus. Er saß im Dunkeln. Unter der Tür fiel ein Streifen Flurlicht herein. Das Metall war kalt und hart, sein Zeigefinger berührte den Abzug, das war unvermeidlich. Er hätte sie und sich erschossen, und jemand anderes wäre in das Zimmer gezogen und hätte vielleicht seine Schreibmaschine benutzt. Er dachte an Katalin, seine Schwester, und hörte dann auf, an sie zu denken. Er atmete ruhig. Der letzte Feind, der entmachtet wird, ist der Tod, dachte er.
    Dann sprang er auf, riß die Tür auf und knallte die Waffe vor Grog auf die Rezeptionstheke.
    Der Portier war gerade dabei, einen Lottoschein zu zerreißen. Er ließ

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