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Idylle der Hyänen

Idylle der Hyänen

Titel: Idylle der Hyänen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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kaltblütigen Täter, wie wir ihn nach der Rekonstruktion der Tat vermutet haben. Er dringt in die Wohnung ein, niemand bemerkt ihn, er nimmt das Kind und verschwindet. Was hat er vor?«
    »Nichtwissen«, sagte Weningstedt.
    »Hat man einen zweiten Schlüssel in der Wohnung gefunden?« fragte Gabler.
    »Nein«, sagte Fischer. »Katinka konnte sich nicht selber einsperren; wir müssen davon ausgehen, daß ihre Mutter sie eingesperrt hat.«
    »Was für eine unbarmherzige Frau«, sagte Liz. Das Wort hatte Fischer lange nicht mehr gehört. »Unbarmherzig«, wiederholte er. »Es gibt noch eine andere Möglichkeit: Katinka kannte den Mann und ist freiwillig mitgegangen.«
    »Wir wissen nicht, ob dieser Mann identisch ist mit dem Täter«, sagte Ohnmus.
    »Das wissen wir nicht.« Fischer machte eine Pause und blickte zum Fenster. »Aber ich vermute es. Das Mädchen ist nicht weggelaufen, denn es war eingesperrt. Jemand hat sie abgeholt, und die tote Frau hatte keinen Schlüssel bei sich. Wir sollten davon ausgehen, daß der Mörder von Nele Schubart auch der Entführer ihrer Tochter ist.«
    »Wann kommt der Mieter des Tiefgaragenstellplatzes morgen an?« fragte Walter Gabler. Er stand auf, nahm gleich wieder Platz und atmete schwer.
    »Kann ich ein Vanillebonbon von dir haben?«
    fragte Liz.
    So schnell vorbei, dachte sie, aber sie sagte es nicht, denn sowas sagt man nicht. Sie hatte das Meer gesehen, das ein Sonnenbad nahm, da waren sie sich einig, sie und ihr Papa, auch wenn er nicht ihr Papa war. Das Meer nimmt ein Sonnenbad, stimmt’s, Papa? Und er sagte: Stimmt, mein Kind. Und sie rannte am Ufer entlang und wich den Wellen aus, die nach ihren Zehen leckten, sie rannte mit offenem Mund und winkte und wünschte, sie hätte einen Drachen, der dem Wind winkt. Und sie paßte auf, daß der Mann, den sie Papa nennen durfte, sie immer noch sehen konnte, das hatte er von ihr verlangt, das war nicht schwer. Aber er blätterte dauernd in Zeitungen, als suche er etwas; so lange blätterte er, bis das Meer beleidigt war und seinen Wind losschickte, damit er die Zeitungen davonfegte und der Mann das stolze Meer wieder anschaute, wie es ein Sonnenbad nahm mitten im Sommerland. Zwei Tage sind so schnell vorbei, dachte sie, aber sie sagte es nicht, denn sowas sagt man nicht.
    »Komm!« rief er ihr zu. »Wir müssen los! Komm!«
    Seine Stimme flatterte wie ein Drachen über sie hinweg, und sie winkte in den Himmel und verschluckte ihre Traurigkeit und sah nicht hin, als der Mann seine Hand ausstreckte, denn sie wollte nicht, daß er glaubte, sie wäre undankbar oder mache einen ungerechten Blick, wie ihre Mutter oft behauptete, wenn sie sie anschaute und nichts sagte. Du hast wieder deinen ungerechten Blick! sagte ihre Mutter, und dann kniff Katinka die Augen zu und stellte sich ein blaues Meer vor oder ein grünes.
    »Fahren wir zu Mama?« fragte sie.
    »Deine Mama ist noch verreist«, sagte der Mann.
    »Muß ich allein bleiben, bis Mama wiederkommt?« fragte Katinka.
    »Ganz bestimmt nicht«, sagte der Mann. »Setz dich ins Auto, ich muß kurz telefonieren.«
    »Wen rufst du an?«
    »Setz dich rein und erzähl Toni, was du heute alles erlebt hast.«
    »Das weiß der doch, der war doch immer dabei! Stimmt’s, Toni?«
    Und der Elch in ihrem Arm nickte.
    »Ich will nicht, daß Sie mit reinkommen.« Sebastian Flies streckte den Arm aus und hielt ihn quer vor die Eingangstür des Ost-West-Hotels.
    »Morgen früh um halb acht holen meine Kollegen Sie ab«, sagte Fischer. Er wartete, bis der Mann mit den zerzausten Haaren und der grünen Hose die Glastür aufgestoßen hatte und ins Haus torkelte. Dann nickte er den Fahndern zu, die auf der anderen Seite der Landwehrstraße in einem Auto saßen.
    Er machte sich auf den Weg zur nächsten Straßenbahnhaltestelle, um nach Schwabing in die Römerstraße zu fahren; dort hatte er sich bei Sara und Benedikt Flies angemeldet.
    Das Gespräch hätte er auch am nächsten Tag führen können, aber er wollte in Bewegung bleiben.
    Vor allem wollte er, daß der Todestag seiner Mutter verstrich, ohne daß er sie noch einmal winken sah.
    12   Der Kopf in der Schachtel
    E ine halbe Stunde vor Mitternacht betrat Polonius Fischer seine Wohnung im obersten Stockwerk eines Sechzigerjahrebaus im Zentrum. Wieder einmal hatte er keinen Blick in die hell erleuchteten Schaufenster des traditionsreichen Porzellangeschäfts Kuchenreuther im Parterre geworfen. Seine beiden Zimmer gingen auf die sechsspurige, von

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