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Idylle der Hyänen

Idylle der Hyänen

Titel: Idylle der Hyänen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Fischer, »hat jemand die Zeiten aufgeschrieben, die wir bis jetzt einigermaßen beweisen können?«
    Esther hob ein DIN-A4-Blatt in die Höhe.
    »Wenn der Zeuge vom Nothkaufplatz, Herr Zimmermann, sich nicht täuscht, dann verließ Nele um 9 Uhr 30 die Wohnung und kam etwa um 12 Uhr 15 zurück, das hat dir die alte Dame erzählt, P-F, ihren Namen find ich gerade nicht.«
    »Frau Badura«, sagte Liz.
    »Wann sie danach ihre Wohnung verließ, wissen wir nicht; die dritte Uhrzeit, die feststeht, ist 16 Uhr vor der Apotheke. Das würde zur späteren Tatzeit passen. Nach den Untersuchungen von Dr. Dornkamm gehen wir davon aus, daß Nele Schubart nicht vor achtzehn Uhr getötet wurde. Sie war also in der Nähe, sie hatte eine Verabredung.«
    »Grünes Kleid, hübsch«, sagte Georg Ohnmus.
    »Madonnenartig. Bravo. In dem Viertel, in dem sie gewohnt hat, leben die Leute Tür an Tür und da, wo sie ermordet wurde, genauso. Und was sehen die Leute? Eine Madonna! Dieser Banker, hat der ihr eine Zigarette gegeben?«
    »Nein«, sagte Moll, »er raucht nicht, aber sie kamen ins Gespräch. Er hatte frei an dem Tag, er wollte zum Einkaufen in den Supermarkt, der im selben Block wie die Apotheke ist.«
    »Wo hat sie das Eis gekauft?« fragte Esther.
    »Das wissen wir nicht«, sagte Moll.
    Wie so oft, wenn Zeugenaussagen keine befriedigenden Antworten ergaben und die Fahndung nicht vorantrieben, ballte Micha Schell, der in Konferenzen nie voreilig Kommentare abgab oder durch leidenschaftliches Mitdiskutieren auffiel, die rechte Faust und hämmerte in die Luft. »Es wird immer nur das gesehen, was jemand sehen will! Ist euch das schon mal aufgefallen? Ich bin ja auch schon fast zehn Jahre dabei, und ich finde, es wird immer schlimmer. Die Leute hocken vor dem Fernseher, ziehen sich Gerichtsshows und Doku-Soaps über die Polizei rein und halten das für das wahre Leben. Sie glauben, sie nehmen am Leben teil, sie fühlen sich im Recht. Das ist das schlimmste: Sie denken, sie dürfen, was sie tun. Aber sie dürfen es nicht!« Er starrte seine Faust an wie eine unerwartete Waffe, hob den Arm, und es sah aus, als drohe er Liz, die auf der anderen Seite des Tisches stand. Mit seinen fünfunddreißig Jahren war er der zweitjüngste Kommissar im K 111. »Und sie dürfen es deswegen nicht, weil sie das andere, das Leben, auf das es ankommt, total aus den Augen verlieren. Wenn sie auf der Straße sind, sehen sie nur noch das, was zu ihren Fernsehbildern paßt. Diese alte Frau, die sieht eine junge Frau, die in der Sonne ein Eis ißt, und was denkt sie? Da sitzt eine Madonna! Wie kann man auf so eine Idee kommen?«
    »Religiös vielleicht«, sagte Ohnmus.
    »Religiös!« Schell fegte mit der Hand durch die Luft, knapp an Fischer vorbei. »Die Leute sehen nichts! Sie machen sich nur wichtig. Sie wollen ins Fernsehen, sie quetschen sich unten in dieser Tiefgarage zusammen, um draußen den Reportern was zu erzählen zu haben, und das halten sie dann für ihr Leben. Diese Leute fragen die Journalisten, wann die Sendung kommt, damit sie rechtzeitig eine Videokassette einschieben können.«
    »Micha«, sagte Esther Barbarov. »Wir müssen rüber in die Soko, können wir bitte noch die neuen Ergebnisse der Spurensicherung besprechen?« Schell begann die Ärmel seines Hemdes hochzukrempeln, das eine ähnlich rote Farbe hatte wie Fischers Krawatte. »Eine tote Frau«, sagte der Oberkommissar. »Ein verschwundenes Kind, offenbar eine weitere Frau, die verschwunden ist. Ein Zeuge, der lügt. Und niemand weiß, wieso?
    Oder?«
    Fischer war kurz davor, seinen Kollegen zu unterbrechen. Andererseits passierten solche Ausbrüche bei fast jeder Ermittlung, und sie kamen nicht immer nur von Micha Schell.
    »Wir sind eine Truppe Showgirls und Showboys für die Leute. Wir sind ja selber dauernd im Fernsehen. Wie viele Kollegen von uns machen bei dem Spiel denn mit? Unzählige. Sollen sie machen, wenn sie sonst nichts zu tun haben. Uns hilft das nichts. Was ist denn mit dem Banker? Was hier steht, das nützt uns doch null!«
    »Er nützt uns sehr«, sagte Fischer. »Er bestätigt ein weiteres Mal, daß Nele allein unterwegs war und sich in der Nähe des Hochhauses aufgehalten hat, wo sie ermordet wurde.«
    »Und wieso ist er der einzige? Weil sie ihn angesprochen hat! Weil er dachte, die sucht einen Kerl. Weil er geil war. Weil er auf der Suche war. Die Frau hat ihre Wohnung verlassen, hat ihr Kind eingesperrt, hat irgendwas erledigt, ist zurückgekommen, hat ihr

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