Idylle der Hyänen
von der Streife bei ihm warten, bis du kommst?«
»Ja«, sagte Fischer. »In welcher Verfassung ist er?«
»Übernächtigt, er stinkt nach Alkohol, der hat garantiert in seinen Sachen gepennt.«
»In der grünen Hose?«
»Sie ist grün, ja.«
Laut dem neuen Bericht aus dem Untersuchungslabor gab es übereinstimmende Fingerabdrücke in der Tiefgarage und in der Wohnung von Nele Schubart, außerdem an zwei Türklinken im Treppenhaus. »Die Kollegen haben natürlich das gesamte Gebäude noch nicht durch«, sagte Fischer. »Die Abdrücke sind an der Kellertür und an einer Zwischentür im Erdgeschoß. Ich warte auf den Durchsuchungsbeschluß, vorerst nur für das Treppenhaus; die Kollegen machen in der Zwischenzeit einfach weiter. Und es gibt keinen zweiten, anderen übereinstimmenden Abdruck; wir bleiben also dabei, daß es sich um einen Einzeltäter handelt. Der Mörder hat das Mädchen aus dem Haus geholt, er muß ein Auto benutzt haben. Wir suchen also ein Fahrzeug, das Zeugen sowohl in der Heiglhofstraße als auch am Nothkaufplatz gesehen haben. Die Tatzeit war zwischen neunzehn und zwanzig Uhr am Freitag, das bedeutet, der Täter war nicht vor einundzwanzig Uhr in der Wohnung von Nele Schubart, vermutlich etwas später. Es bleibt uns nichts übrig, als die Anwohner noch einmal zu befragen.«
Weningstedts tragbares Telefon klingelte. »Valerie?« Er hörte zu und legte das Gerät wieder auf den Tisch. »Ein Zeuge sagt, er hat das Mädchen am Spielplatz am Nothkaufplatz mit einem Mann gesehen. Das Alter kann er nicht schätzen, nicht mehr ganz jung auf jeden Fall. Der Zeuge geht da manchmal spazieren, er hat sich erinnert, weil die beiden sehr freundschaftlich miteinander umgegangen sind. Sie kannten sich. Der Zeuge dachte, es wäre ihr Vater, aber jetzt hat er in der Zeitung gelesen, daß die Eltern lange getrennt sind. Eine Beschreibung konnte er nicht geben, groß, eher schlank, an das Gesicht kann er sich nicht erinnern, er war zu weit weg. Aber etwas Markantes ist ihm doch aufgefallen: Der Mann hinkt. Ob mit dem rechten oder linken Bein, das weiß der Zeuge nicht. Seid ihr dort einem hinkenden Zeugen begegnet?«
Niemand hatte einen solchen Zeugen gesehen.
»Das Auto und der hinkende Mann am Spielplatz«, sagte Fischer. »Beide Fragen müssen bis heute abend geklärt sein.«
Esther Barbarov beugte sich zu ihrem Kollegen hinüber. »Die Soko wartet, Micha.« Sie nahm die Blätter mit den neuen Aufzeichnungen, um sie ein Stockwerk tiefer zu kopieren. Wie erschöpft, mit schleppenden Schritten, folgte Schell seiner Kollegin.
»Auf deinen Zeugen bin ich gespannt«, sagte Weningstedt.
Fischer zog sein Jackett an. »Der Staatsanwalt ist bereit, einen Haftbefehl gegen Sebastian Flies zu beantragen, falls er stur bleibt.« Er wandte sich an Liz Sinkel. »Du mußt leider wieder aushelfen.«
»Ehrlich?« Liz hatte schon damit gerechnet, daß sie Telefondienst machen mußte, solange Valerie die Vernehmung – das Gespräch – im PF-Raum protokollierte. Sie nickte, und Fischer schien es, als dränge sie sich etwas zu nahe an ihm vorbei.
15 In der Höhle
I m zweiten Stock warteten die beiden uniformierten Polizisten. Fischer dankte ihnen, daß sie den Zeugen aus dem Ost-West-Hotel geholt hatten.
Sebastian Flies saß mit dem Rücken zur Tür und hatte die Hände hinter die Stuhllehne gelegt, als wäre er gefesselt.
»Guten Morgen«, sagte Fischer.
Valerie schloß die Tür, setzte sich an den Bistrotisch und tippte Datum und Uhrzeit in ihren Laptop.
Fischer nahm gegenüber von Flies Platz, knöpfte sein Jackett auf, legte die Hände gefaltet auf den leeren Tisch. »Vernehmungsbeginn acht Uhr fünfzehn, Dienstag, einunddreißigster August. Ich erkläre Herrn Flies, daß gegen ihn wegen des Verdachts der Tötung der fünfunddreißigjährigen Nele Schubart ermittelt wird, und ich belehre ihn darüber, daß er das Recht hat, die Aussage zu verweigern, einen Rechtsanwalt zu beauftragen oder Beweiserhebungen zu beantragen.«
Valerie tippte den Satz, den sie auswendig kannte, und hob den Kopf.
»Sind Sie aussagebereit, Herr Flies?« fragte Fischer.
»Vielleicht.«
»Wollen Sie einen Rechtsanwalt hinzuziehen?«
»Sie wissen überhaupt nicht, worum’s geht.«
»Das ist wahr«, sagte Fischer. »Um das herauszufinden, sitzen wir hier. Sind Sie aussagebereit?«
»Und wenn nicht?«
»Dann bringe ich Sie in Untersuchungshaft.« Es war nur ein Versuch, und Valerie hütete sich, ein Wort davon ins Protokoll zu
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