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Idylle der Hyänen

Idylle der Hyänen

Titel: Idylle der Hyänen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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sauber, und auf den Balkonen der Häuser blühten Geranien. Das Dorf hieß Schild auf der Höh, er war noch nie hiergewesen. Sie gingen am See spazieren, wie ein Liebespaar. Dann kam die Nacht. Sie wollte wieder an den See. Sie tranken die drei Flaschen Wein, die sie in der Autobahnraststätte gekauft hatten. Dann fuhren sie hierher. Und dann? Und jetzt?
    Ihr Gesicht war aufgedunsen, er erkannte es kaum wieder.
    Ich muß zurück in die Stadt, dachte er.
    Dann fiel ihm das Häuschen am Waldhang ein, in der Nähe der Kirche. Auch dorthin hatte sie ihn gelotst, und sie hatte ihm erzählt, was es mit dem weißgestrichenen Haus, das nur aus einem Raum bestand, auf sich gehabt hatte, früher, in ihrer Mädchenzeit.
    Als er aufstand, stellte er fest, daß sein Bauch und sein Geschlecht voller Blut waren, auch das Geschlecht und der Bauch der toten Frau.
    Auf dem Weg zum Auto taumelte Sebastian Flies. Er sackte auf die Knie und übergab sich, mehrere Male, minutenlang.
    Er spuckte aus und wischte sich den Mund und den Unterleib mit Papiertaschentüchern ab, die er im Handschuhfach fand. Die Leiche säuberte er mit seinem schwarzen T-Shirt. Nachdem er sie auf die Rückbank gezerrt hatte, deckte er den nackten Körper mit dem roten Cape zu und legte die übrigen Kleidungsstücke obenauf. Erst jetzt zog er seine Sachen an. Er dachte an das, was er vorhatte; an etwas anderes dachte er nicht. Was er vorhatte, war nichts Besonderes, abgesehen von dem Einbruch, den er begehen mußte.
    Bevor er den Motor startete, roch er an seinen Fingern und schüttelte sich vor Ekel. Er lief zum See und tauchte die Hände ins kalte Wasser, rieb sie aneinander, spülte sie wieder und wieder ab, nahm einen flachen Stein und schrubbte damit wie mit einem Seifenstück die Innenhandflächen, tunkte die Hände erneut ins Wasser und ließ sie so lange darin, bis er die Kälte nicht mehr ertrug. Wieder roch er an den Fingern, schniefte und spuckte in die Wiese. Er riß zwei dicke Grasbüschel aus und zerrieb sie in den Fäusten. Hinter dem Lenkrad bildete er sich ein, der widerliche Geruch habe sich inzwischen im Wageninneren ausgebreitet.
    Mit offenem Fenster fuhr er durch das verlassene Dorf.
    Von alldem würde Polonius Fischer nur einen Ausschnitt erfahren, gerade so viel, daß er die Staatsanwaltschaft von einer Anklageerhebung überzeugen konnte. Vor der Schwurgerichtskammer des Landgerichts würden die erbrachten Beweise und unter Eid abgegebenen Erklärungen zu einem Urteil führen und vielleicht die allgemeinen Erwartungen befriedigen; im Wesentlichen jedoch würden sie nichts weiter sein als vage Annäherungen an den Radius der Wahrheit.
    14   Madonna ohne Kind
    D as Umarmen hatten sie schon vor Jahren sein lassen. Jeder schüttelte dem Geburtstagskind die Hand, dann verstummten sie.
    »Lieber Polonius«, sagte Silvester Weningstedt und nahm ein rechteckiges, in rot-blaues Papier verpacktes Geschenk vom Tisch. »Das ist kein Buch, auch keine CD, es ist, wenn ich ehrlich bin, ein Risiko.«
    »Das ist doch kein Risiko, so ein Mumpitz«, sagte Liz.
    »Es war ihre Idee«, sagte Weningstedt. »Sie hat uns überzeugt, daß dieses Geschenk dir Glück bringen und dir Ruhe und Vertrauen vermitteln wird.«
    »Das stimmt«, sagte Liz.
    Fischer besaß wenig Talent, sich Geschenke für andere auszudenken, und noch weniger Talent, Geschenke entspannt entgegenzunehmen; weil er im Stehen mit dem Aufknoten der Schleife nicht zurechtkam, setzte er sich, ungelenk und ein wenig verärgert über seine Unfähigkeit. Er vermied es, in die Runde zu blicken, und bemerkte deshalb nicht, wie Liz jede seiner Handbewegungen mit einem erwartungsvollen Blick verfolgte, in den ihre Kollegin Esther eine unangebrachte Form von Hingabe hineininterpretierte.
    Aus einer mit Seidenpapier ausgelegten Lederschatulle holte Fischer eine zehn Zentimeter große, androgyn wirkende Buddhagestalt hervor. Sie fühlte sich kalt und schwer an. Der junge Gott mit der schwarzen Haube, den geschwungenen Brauenstrichen, den rot unterränderten Augen und dem schmalen roten Mund saß mit gekreuzten Beinen auf einem Podest, seine offene rechte Hand zeigte nach unten und in seiner linken hielt er ein rundes Gefäß im selben Goldton wie ein Teil seines Gewandes, dessen vorwiegende Farbe ein mildes, holzartiges Braun war.
    Fischer legte die Figur in seine Hand und betrachtete sie lange. Der Buddha strahlte Anmut und Offenheit aus. Seine Geste empfand der Kommissar wie eine Einladung zu verweilen und

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