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Idylle der Hyänen

Idylle der Hyänen

Titel: Idylle der Hyänen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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auf dem See passiert war, wußte Leonhard Fischer nicht; der einzige Zeuge hatte geschwiegen, obwohl er ihn tagelang angeschrien und sogar geschlagen hatte, um die Wahrheit zu erfahren. Doch sein Sohn schwieg bis heute.
    Daß Polonius Fischer nach all den Jahren nun mit dem Schicksal einer Frau konfrontiert wurde, deren Mutter im See ertrunken war und die ihr Leben bedingungslos Gott unterworfen hatte, erschien ihm wie eine Heimsuchung, zumal die junge Frau – so wie er – aus dem Kloster ge- flohen war, weil sie – so wie er – am Glauben gescheitert war.
    Doch da war ein Gedanke, an den Fischer sich klammerte: Seine Mutter hatte nicht Selbstmord begangen! Seine Mutter war ertrunken, weil…
    Seine Mutter war ertrunken, weil sie nicht gut schwimmen konnte.
    Und weil…
    Und er war nicht in den Orden eingetreten, weil…
    Er war in den Orden eingetreten, weil seine Innenweltkarte nur noch aus weißen Flecken bestanden und weil er seine wahre Orientierung im Glauben erkannt hatte.
    Und weil…
    Für den Abschluß der Akte Flies /Gebirg waren seine Kollegen Mehling und Feldkirch zuständig, nicht er; er war zuständig für die Akte Schubart; er war zuständig für das siebenjährige Mädchen und den unbekannten hinkenden Mann; er war auf dem Weg zum Tatort.
    Nach dem Ende des Telefonats mit seinem Vater hatte er aufgehört, an seinen Geburtstag zu denken. Und als er die Heiglhofstraße erreichte, hatte er den Geburtstag vergessen.
    In der Wohnung roch es nach Putzmitteln, Rasierwasser und dem abgestandenen Qualm von Zigaretten. Keiner der Gerüche, die sich mit der durch die weit geöffneten Fenster hereinströmenden Luft eines milden Sommerabends mischten, kam Fischer natürlich vor. Gebückt stand er im Türrahmen, sah zum Balkon, den eine Markise verschattete, horchte auf die Stimmen aus der Grünanlage und betrachtete lange den Fußboden mit seinen Kratzern und Schleifspuren und den kleinen runden Abdrücken. Im Halbdunkel des Flurs wartete Franz Wohlfahrt darauf, etwas sagen zu dürfen; aber der Kommissar hatte ihn gebeten, sich ruhig zu verhalten.
    Eine der Holzlehnen des alten, geblümten Sofas ragte schief aus der Verankerung. Vermutlich war die Lehne herausgerissen worden, und Wohlfahrt hatte sie mit einem Kissen abgestützt, damit der Bruch nicht auffiel. Fischer hatte die Hände in den Hosentaschen und würde nicht das geringste anrühren, solange er sich an diesem inszenierten Ort aufhielt. Daß der Boden, zumindest im Wohnzimmer, aus Laminat bestand, bedeutete geradezu ein Geschenk für seine Kollegen, die Lupenabteilung, wie Liz sie nannte: In der Kunststoffbeschichtung blieben Spuren aller Art wochenlang erhalten, man konnte sie problemlos abkratzen, abtupfen, abkleben und identifi- zieren. War das Verbrechen in diesem Zimmer begangen worden, dann wäre Wohlfahrts Säuberungsaktion zwecklos gewesen.
    »Außer Ihnen«, sagte Fischer, »besitzt niemand einen Schlüssel zu dieser Wohnung?«
    »Das haben Sie mich schon mehrmals gefragt«, sagte Wohlfahrt und kam näher. Fischer nahm die Unsicherheit des Mannes wie einen Geruch wahr, er brauchte sich nicht einmal zu ihm umzudrehen.
    »Also nein.«
    »Nein«, sagte Wohlfahrt.
    »Und Sie waren seit zwei Monaten nicht mehr hier?«
    »Ganz genau.«
    »Sie lügen, Herr Wohlfahrt.«
    »Ich lüge nicht.«
    »Sie lügen, weil Sie mir nicht sagen, daß jemand in der Zwischenzeit hier war.«
    »Wer denn?«
    Zum zweitenmal trat Fischer ins Zimmer und drehte sich, wie vorhin kurz nach seinem Eintreffen, langsam im Kreis, ließ seinen Blick schweifen, über die ramponierte Couch, die zwei Stühle mit den geblümten Sitzkissen, den Tisch mit der weißen Decke, den dunklen Schrank mit den breiten Schubladen, die kahlen Wände, den Mann im kurzärmeligen Hemd, der sich die Hände rieb, als friere er.
    »Die Dinge auf Ihrem Parkplatz im Keller«, sagte Fischer, »die Skier, der Schrank, das Regal, das alles gehörte Ihrem Vormieter, dem verstorbenen Herrn Sacher.«
    »Selbstverständlich. Mir doch nicht!«
    »Rauchen Sie viel?«
    Als habe er die Frage nicht richtig verstanden, beugte Wohlfahrt sich vor und hielt die rechte Hand hinters Ohr. »Bitte? Was?«
    »Rauchen Sie viel?«
    »Nein. Gelegentlich. Warum?«
    »Sie haben die Wohnung geputzt, bevor ich gekommen bin.«
    »Ein bißchen drübergewischt«, sagte Wohlfahrt, verschränkte die Arme, ließ sie aber, als er weiterredete, wieder baumeln. »Da sammelt sich Staub, logisch, ich beschäftige ja keine Putzfrau in

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