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Idylle der Hyänen

Idylle der Hyänen

Titel: Idylle der Hyänen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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wartet seit Stunden auf mich.«
    »Neues aus der Lupenabteilung«, sagte Liz Sinkel und trat ins Zimmer. »Sie haben einen Abdruck auf der roten Brille eindeutig identi- fiziert, er stimmt mit den anderen überein. Das heißt, der Mann, der Katinka entführt hat, hat ihre Mutter ermordet. Gibst du das an die Presse?«
    Weningstedt rollte die Papiere zusammen. »Natürlich. Aber erst morgen. Heute vermelden wir, daß das Mädchen wohlbehalten wieder da ist und bei Verwandten untergebracht wurde. Unser Täter hält sich vermutlich in der Stadt auf, und er will in der Zeitung lesen, daß das Mädchen ihn nicht verraten hat.«
    »Aber warum?« Ungeduldig sah Liz vom einen zum anderen.
    »Sie soll sich ausschlafen«, sagte Fischer. In seiner Jackentasche erklang die Melodie von Bad Bad Leroy Brown. »Morgen früh sprechen wir mit ihr, du und ich.«
    »Bringen wir sie her?« fragte Liz.
    »Auf keinen Fall.« Fischer zog sein Handy aus der Tasche.
    »Alles Gute zum Geburtstag«, sagte Leonhard Fischer. »Tut mir leid, daß ich erst so spät anruf, aber ich hab bis Mittag gepennt, und dann hab ich mein Match mit Richy beenden müssen, und dann war der Nachmittag schon wieder um. Wie geht’s dir so?«
    »Gut, danke.«
    »Geht’s voran?«
    »Ja.«
    »Und gesundheitlich? Mit einundfünfzig jetzt?«
    »Ich bin gesund.«
    »Dann geh bloß nicht zum Arzt!«
    »Wie geht’s dir, Papa?«
    »Schlecht.«
    »Wieso?«
    »Ich hab versucht, Kontakt zu einem weiblichen Gast herzustellen, etwas jünger als ich, ist gescheitert, die Dame fand mich aufdringlich.«
    »Das bist du manchmal.«
    »Anders kommt man nicht voran. Was macht deine Christin?«
    »Sie heißt immer noch Kristin.«
    »Und was macht sie so?«
    »Sie fährt immer noch Taxi.«
    »Dann halt ich dich nicht länger auf. Stimmt das, daß das Mädchen wieder aufgetaucht ist?«
    »Ja.«
    »Das ist praktisch für euch, wenn jemand freiwillig zurückkommt.«
    »Ja.«
    »Noch mal alles Gute, schau mal wieder vorbei. Moment! Alles Gute auch von Richy.«
    »Danke. Und danke für deinen Anruf.«
    »Kill the killers!«
    Leonhard Fischer gab seinem Freund Richard Hopf das Handy zurück und beugte sich über den Tisch. Zwischen England und Uruguay stand es drei zu null, und der alte Fischer, der England war, hatte nur noch fünf Minuten Zeit, um den Rückstand aufzuholen. Mehrmals im Jahr spielten die beiden Männer internationale Fußballturniere mit Tippkick-Figuren nach, und wer ein Spiel verlor, mußte einen Euro bezahlen. Am Ende warfen sie das Geld in einen Topf und kauften davon einen neuen Kasten Bier.
    Seit dreizehn Jahren lebte Leonhard Fischer in der kleinen Pension am Tassiloplatz, die sein Schulfreund Hopf betrieb; an seinem sechzigsten Geburtstag war er in das Haus gegenüber einer Tankstelle eingezogen, nachdem er sein Mobiliar verscherbelt und den Großteil seiner Kleidungsstücke in die Altkleidersammlung gegeben hatte. Und er hatte nicht vor, noch einmal auszuziehen, auch wenn Hopf seine Drohung wahrmachen und die Pension schließen sollte. Dann würden sie beide trotzdem in den Räumen wohnen bleiben; schließlich befand sich im Erdgeschoß ihr Stammlokal, der Tassilogarten. Niemand, das hatten sie sich gegenseitig geschworen, würde es schaffen, sie auf die Straße zu setzen, auch nicht Claudine, Hopfs vierzehn Jahre jüngere Lebensgefährtin, die, wie der alte Fischer vermutete, geheime Pläne schmiedete und eifersüchtig auf ihn war.
    Mit seinem Sohn hatte Leonhard regelmäßig Kontakt, aber sie redeten wenig, am Todestag von Mathilda Fischer über die Vergangenheit, sofern der alte Mann nicht beschlossen hatte, bereits zum Frühstück ein Bier zu öffnen. Dann trank er den Tag über durch und schlief irgendwann ein, ohne viel gesprochen oder besonders aufmerksam zugehört zu haben. Damals, als sein Sohn ihm mitgeteilt hatte, daß er ins Kloster gehen würde, hatte sein Vater ihn vorübergehend für hirnlos gehalten. Später löcherte er ihn mit Fragen nach seinem Leben als Mönch und wollte erfahren, wie es war, wenn man keine Frauen mehr vermißte. Fischer ging nicht darauf ein, und nach einem Jahr hörte sein Vater auf, Fragen zu stellen. Eine Zeitlang sahen und sprachen sie sich nicht; einen Besuch im Kloster lehnte Leonhard Fischer ab. Wenn Polonius von ihm wissen wollte, ob er an Gott glaube, erhielt er immer dieselbe Antwort: »Am Todestag deiner Mutter, sonst nicht.«
    Warum sie mit fünfunddreißig Jahren hatte sterben müssen und was genau vor ihrem Tod

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