Idylle der Hyänen
Handeln. Danach fuhren Gesa und Emanuel mit ihm durchs Dorf, er zeigte ihnen die Plätze, wo er sich angeblich mit Ines Gebirg während des Tages aufgehalten hat. Seiner Aussage nach sind er und die Frau den ganzen Sonntag herumgefahren. Zeugen gibt’s bisher nicht. Genausowenig wie ein Motiv.«
»Er hat die Frau erwürgt«, sagte Fischer. »Er hat Lust dabei empfunden, er wollte, daß die Frau stirbt. Unsere Beweisakte wird auf eine Anklage wegen Mordes hinauslaufen.«
Weningstedt las noch einmal die Nachricht seiner Kollegen. »Der Vater, Robert Gebirg, schließt nicht aus, daß seine Tochter selbstmordgefährdet war, genauso wie seine Frau, die in den See gegangen ist, und deren Großmutter, die sich in der Badewanne die Pulsadern aufgeschnitten hat. Es gibt die Theorie des vererbten Selbstmordes.«
»Ja«, sagte Fischer.
Hinter Weningstedt tauchte Liz auf und blieb stehen, wie ferngehalten von Fischers starrem Blick. »Ich weiß, daß in Amerika mehr junge Menschen an Selbstmord als an Aids sterben, und die Aids-Zahlen sind ziemlich hoch. Freud hat den Suizid als verhinderten Mord bezeichnet; seiner Ansicht nach will man mit dem bewußt gewählten eigenen Tod seine Mitmenschen bestrafen, die versagt, die nicht aufgepaßt, die unser wahres Wesen nicht erkannt haben. Ich weiß, daß sich in Deutschland jedes Jahr mehr als zehntausend Menschen umbringen. Der Selbstmord ist ein Tabu. Er ist eine Macht, in gewisser Weise ein Schöpfungsakt, zerstörerisch, aber kreativ, die vollkommene Freiheit.«
»Warum kann man solchen Menschen nicht rechtzeitig helfen?« fragte Liz aus der Entfernung. Was Fischer sagte, erschütterte sie weniger als die Art, wie er es sagte: mit harter, fast kalter Stimme, unwillig, mürrisch, beinah aggressiv, aber ohne Regung im Gesicht, mit einem eigenartig verächtlichen Unterton, den Liz noch nie bei ihm gehört hatte.
»Sie sind krank«, sagte er und ließ Liz nicht aus den Augen. »Sie sind depressiv, sie haben eine Veranlagung zum Selbstmord, ihr Serotonin-Haushalt ist gestört. Die Vorstellung, sich selbst auslöschen zu können, erregt sie und treibt sie an. Sie entwickeln eine Sehnsucht und empfinden sie wie ein schwarzes Glück, das sie befreit, von aller Last und dem Schmerz, der ihnen die lebenslange Einbildung verursacht hat, sie wären verkehrt auf diesem Planeten. Wer ihnen helfen will, den betrügen sie, sie sind geübt in der Kunst der Verstellung und des schönen Scheins, sie überlisten sich selbst. Jedenfalls die meisten von ihnen. Oder sie trinken, und der Rausch bestärkt sie in dem Wunsch, Rache an jenen zu nehmen, die sie aufwachsen ließen und denen sie nicht entkommen sind, an den Blinden, die sie nie wirklich gesehen haben, und an den Tauben, die ihnen nie wirklich zugehört haben.«
Fischer machte eine Pause, bevor er weitersprach. »Vor allem aber wollen sie Rache nehmen an sich selbst. Weil sie so lange geduckt und verhuscht durchs Leben geschlichen sind und deswegen verspottet wurden. Rache für die Zeit der Verachtung, Rache für die Zeit der Qualen im Gefängnis ihrer Familie, Rache für ihre verhunzte Kindheit und ihr noch viel verhunzteres Erwachsenendasein. Rache und immer grausamere Rache. Bis zu dem Moment, an dem sie mit ihrer Rache am Ende sind und den großen, den größten, den ersten wahrhaftig eigenen Schritt tun können. Und dann, Liz, kann ihnen niemand mehr helfen. Und ich weiß nicht einmal, ob wir helfen sollten.«
Im zweiten Stock klingelte ein Telefon, sonst war es still. Eine Minute lang. Weningstedt drehte sich zu Liz um. Sie sahen sich an und brachten kein Wort heraus. Von der anderen Seite des Flurs, wohin er sich zurückgezogen hatte, um Fischer in ihrem gemeinsamen Büro in Ruhe arbeiten zu lassen, tauchte Walter Gabler auf, eine Mineralwasserflasche in der Hand. Er stutzte, wollte etwas sagen und verschwand wieder.
»Und wenn es so war?« fragte Weningstedt.
»Wenn die Frau in diesem Zustand gewesen ist, den du beschrieben hast? Wenn sie tatsächlich Selbstmord begehen wollte?«
»Welche Anklage erwartet Flies dann?« Fischer nahm sein Sakko von der Lehne seines Schreibtischstuhls und zog es an.
»Beihilfe zum Selbstmord durch Erwürgen?«
»Beihilfe zum Selbstmord ist strafbar«, sagte Liz und kam sich altklug vor.
»Erwürgen auch«, sagte Fischer und lächelte. Auch Weningstedt lächelte, aber es sah traurig aus. Und er fühlte sich traurig.
»Ich muß endlich in diese Hochhauswohnung«, sagte Fischer. »Wohlfahrt
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