Idyllen in der Halbnatur (German Edition)
Bild geworden, eine Dauer, die im umgekehrten Verhältnis zu den kurzen Augenblicken ihrer Geltung steht.
Es gibt einen Autor, der den Kampf mit dem eigenen Foto auch literarisch thematisiert hat. Ich meine Heiner Müller und sein Theaterstück »Die Hamletmaschine«. In der ersten Szene tritt eine männliche Figur auf und markiert seine Rolle: »Ich war Hamlet.« Im Folgenden denunziert der Mann alles, was je mit dem Theater zu tun gehabt hat und weiter zu tun hat – das Theaterleben, das Theaterschreiben, das Theaterspielen. In der vierten (und letzten) Szene beendet der Hamletdarsteller nicht nur die Denunziation, er beendet auch seine Rolle darin. Er sagt: »Ich bin nicht Hamlet. Ich spiele keine Rolle mehr. Meine Worte haben nichts mehr zu sagen … Mein Drama findet nicht mehr statt (…) Ich spiele nicht mehr mit (…) Mein Drama hat nicht stattgefunden (…) Das Textbuch ist verlorengegangen (…)«
Zur Unterstreichung seines Ausstiegs aus der Welt des literarischen Scheins sieht sich der von Ekel und Überdruss geplagte Hamletdarsteller dann selber dabei zu, wie er sich – in einem auf der Bühne aufgestellten Fernsehapparat – ein Foto des Autors Heiner Müller vor das Gesicht hält und wie er dieses Foto anschließend selber zerstört. Im Textbuch heißt diese Stelle: »Zerreißung der Fotografie des Autors«.
In dieser Szene der »Hamletmaschine« wird das Autor-Foto zum Objekt des zentralen Konflikts, dass jeglicher literarischen Darstellung jeglichen Themas immer auch die Selbstdarstellung des Schreibenden beigemischt ist. Der Autor zieht das Problem der unfreiwilligen, aber unausweichlichen Präsenz des Schreibenden von Shakespeare bis Müller in eine Aktion von wenigen Sekunden Dauer zusammen und zeigt zugleich das Weiterbestehen des Konflikts. Denn auch die »Zerreißung der Fotografie des Autors« ist hochtheatralisch; noch in der Negation des Bildes ereignet sich erneut eine Selbstdarstellung. Wir erfahren blitzhaft schnell die bloße Kunstwichtigkeit jeden Theaters und aller Literatur, die es nur deswegen gibt, weil es den allzeit vom Tod bedrohten Menschen in die Selbstdarstellung und damit in die Abbildung treibt. Und: Durch den stets vorhandenen, meist überstarken Anerkennungsdrang wird der Autor (unfreiwillig) auch in seiner sozialen Dimension sichtbar. Von Heiner Müller ist bekannt, dass er das Schreiben als Privileg empfindet und deshalb auch von der »Asozialität des Schreibens« spricht. Müller nimmt an, wie er in einem Interview einmal sagte, dass »die großen Texte des Jahrhunderts an der Liquidation ihrer Autonomie arbeiten«, und das heißt: »an der Enteignung, zuletzt am Verschwinden des Autors« selber.
Diese Vorstellungen Müllers ähneln Gedanken, die Michel Foucault vor mehr als zwanzig Jahren zum ersten Mal geäußert hat. Am 22. Februar 1969 wies Foucault in einer seither berühmt gewordenen Vorlesung am Collège de France erstmals auf das »Verschwinden des Autors« hin. Foucault sagte damals: »Erzählen und Schreiben, um den Tod abzuwenden, hat in unserer Kultur eine Metamorphose erfahren; das Schreiben ist heute an das Opfer gebunden, selbst an das Opfer des Lebens; an das freiwillige Auslöschen, das in den Büchern nicht dargestellt werden soll, da es im Leben des Schriftstellers selbst sich vollzieht. Das Werk, das die Aufgabe hatte, unsterblich zu machen, hat das Recht erhalten, zu töten, seinen Autor umzubringen. Denken Sie an Flaubert, Proust, Kafka. Das Kennzeichen des Schriftstellers ist nur noch die Einmaligkeit seiner Abwesenheit; er muss die Rolle des Toten im Schreibspiel übernehmen.«
Wenn wir diesem Befund von Foucault Wahrheit zugestehen, dann sehen wir die ganze Dialektik des Autoren-Fotos, hinter der sich die Mechanik eines Zirkels verbirgt. Der Zirkel lässt sich in sieben Schritte zerlegen:
1.
Der Autor opfert, indem er schreibt, langsam sein Leben hin.
2.
Die Selbstopferung fließt als Thema nicht (oder nur marginal) in das Werk ein.
3.
Das Werk wird damit zu einer Entschuldigung für die Entfernung des Autors von den anderen Menschen, für seine Abwesenheit.
4.
Die Abwesenheit und der Drang, sich für sie entschuldigen zu wollen, nötigen den Autor zur Selbstdarstellung, zur Selbstabbildung.
5.
Das immerzu sich entschuldigende Abbild übernimmt die Funktion der Stellvertretung.
6.
Durch seine fortdauernde Wiederkehr wird das Bild mehr und mehr zum Beleg für das Verschwinden des Autors,
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