Idyllen in der Halbnatur (German Edition)
allem erhebt sich die imposante, stattliche Figur Schnitzlers. Er ist ein dreifacher Vorsteher: seiner Familie, seines Werks und einer ganzen Kunstwelt – der Wiener Moderne.
Ohne kalkulierte Effekt-Dramaturgie sind solche Autorenbilder nicht denkbar. Ihr Aufwand ähnelt schon fast jenem Porträt-Manierismus, der für Autoren, die mit ihrem Werk die kaum kaschierte Enthüllung ihres Ichs betreiben, so bezeichnend ist; zum Beispiel für Oscar Wilde und August Strindberg. Für Wilde und Strindberg waren Selbstbildnisse Fortsetzungen des Werks mit anderen Mitteln. Wilde wollte nicht nur seine Erscheinung als Dandy und Connaisseur veröffentlicht wissen. Mit seinem Bild war zugleich sein Programm mitgeteilt. Insofern sind Wildes Porträtfotos die Klammern, die Werk und Person gegenseitig spiegelbildlich verlängern. Das heißt, dem Autorenfoto fällt auf dem kürzesten Weg die Aufgabe der Werkrepräsentanz zu, und diese Aufgabe verformt das Foto zum Sinnbild. Die Theatralik der Wilde-Porträts ist so perfekt und pompös, dass wir sie mit Trachten vergleichen können. Es fehlt nichts, wofür Wilde immer einstand: seine blasierte Neigung zur Aristokratie, die Perfektion der Manieren, die salonhafte Überspitzung der Bekleidung, die Ausstrahlung eines stets bereiten Hedonismus. Die Tracht regelt ein für allemal die Erscheinung der Person, die sie trägt. Wahrscheinlich konstituiert sie sogar einen Teil der Innenwelt. Der (neben Émile Zola) rastloseste Fotograf seiner selbst war August Strindberg. Er hat sich im Laufe seines Lebens von nicht weniger als dreißig Berufsfotografen ablichten lassen; außerdem beschäftigte er einen Privatfotografen, der monatelang nichts anderes zu tun hatte, als ihn täglich im Hinterzimmer seiner Wohnung zu fotografieren. Aber alle Porträts, die seine Fotografen von ihm herstellten, waren ihm am Ende doch nicht gut genug. Deswegen wurde aus Strindberg schließlich selbst ein Fotograf. Ein ehemaliger Studienkollege von Strindberg hat den Zusammenhang mit dieser Schilderung überliefert: »Als ich einmal August Strindberg besuchte, fand ich alle Stühle, Tische und Betten in der Wohnung von Fotografien besetzt, von großen und kleinen, und beinahe alle zeigten ihn selber. Er hatte sie eigens für meinen Besuch hervorgeholt, weil er wusste, dass ich Amateurfotograf war und wir uns bei meinem vorigen Besuch über Fotografie unterhalten hatten. Der Grund, warum er mit der Fotografie arbeite, bestehe darin, dass alle Fotografien, die andere von ihm aufgenommen hatten, schlecht seien. ›Ich kümmere mich nicht um mein Aussehen‹, sagte er, ›aber ich möchte, dass die Leute meine Seele sehen, und die kommt auf diesen Fotos besser zum Vorschein als auf anderen.‹«
Seine Seele also wollte Strindberg veröffentlichen; was dieser Gedanke hervorgebracht hat, sind Hunderte von immer gleichen Bildern, denen Strindberg die Vorstellung seines dramatischen Ichs aufgestempelt hat. Immer wieder sehen wir seine gewollt fiebrigen, gleichwohl starren Gesichtszüge mit den flackernden Augen und dem gespitzten, meist ein wenig geöffneten Mund. Ein Posen-Gesicht, das Strindberg stets beibehielt. Sein Bedürfnis, das ruchlos-panische Moment seines Wesens nach außen zu kehren, führte zu einigen arrangierten Bildern, die heute nur noch schwer erträglich sind, weil sie einerseits einen ozeanischen Ernst beanspruchen und andererseits die Grenze zur Komik überschreiten. Zu diesen Fotos gehören die mit Selbstauslöser aufgenommenen Zerrüttungsbilder. Wir sehen darauf den auf seiner Schreibtischplatte hingekauerten Strindberg; der Kopf liegt auf den zusammengelegten Händen, die stets zerzauste Frisur kündet vom allzeit düsteren Gemüt. Diesen Verzweiflungskitsch hat Strindberg auch noch arrangiert mit dekorativen Beigaben, die die Foto-Zerrüttung endgültig als gestellt und, mehr noch, als gespielt dekuvrieren: links eine schöne Tischlampe, eine Vase mit einer großartig aufgeblühten Rose, natürlich ein aufgeschlagenes Buch und rechts einen schönen Kerzenständer. Eine stimmungsvollere Verbitterung lässt sich schwerlich denken; das Publikum hat sie Strindberg begeistert abgenommen. Natürlich kann es kein Porträt-Foto ganz ohne Pose geben. Man kann sogar sagen: Das Foto ist die Gestalt gewordene Pose; sie ist eine extraordinäre Verstellung, die der zu Porträtierende für die Augenblicke des Fotografiertwerdens aus sich hervortreibt. Paradoxerweise erlangt diese Verstellung, ist sie erst zu einem
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