Idyllen in der Halbnatur (German Edition)
obwohl
7.
gerade durch das Bild der Schein der Anwesenheit simuliert wird.
Die Dialektik ist also eine doppelte: Das Bild demonstriert eine Anwesenheit, die – mit demselben Bild – zugleich entschuldigt wird. Jetzt können wir vielleicht erst richtig die »Zerreißung der Fotografie des Autors« Heiner Müller verstehen. Es ist der Versuch, durch die symbolische Auslöschung des Autors (dargestellt an einem Bild) der eben beschriebenen Dialektik für immer zu entkommen; insbesondere auch aller ihrer Nebenwirkungen, zum Beispiel jener, dass jeder Autor, auch der kritischste und individuell unverdaulichste, immer auch ein Unterhalter ist, der der Gesellschaft, die er doch nur hat untersuchen oder darstellen wollen, immer auch Material für ihre Zerstreuung liefert.
Wie unerhört die Unterhaltungsfunktion von Autoren-Fotos heute zugenommen hat, will ich an zwei neueren Beispielen stichwortartig vorführen. Das erste Beispiel betrifft ein Foto von Gabriel García Márquez, das Mitte der siebziger Jahre entstand und seither immer wieder publiziert worden ist. Man kann sagen: Es ist dieses Foto, das die Romane von Márquez über ihren literarischen Rang hinaus populär gemacht hat. Wir sehen darauf Márquez an einem kleinen Tisch sitzen und arbeiten. Der Tisch ist – das ist wichtig – so schmal, dass er kaum Platz genug bietet für die Schreibmappe und die Schreibmaschine, die deswegen über die Ränder des Tisches hinausragen. Wichtig ist außerdem, dass Márquez barfuß ist. Wir sehen seine unbekleideten Füße, seine bloßen Zehen. Diese beiden Bildelemente – der kleine Tisch und die nackten Füße – steuern unsere Assoziationen. Zu den nackten Füßen fallen uns leere Hände ein, zum kleinen Tisch die Hilflosigkeit eines Schülers, der mit geringen Mitteln haushalten muss und dabei – wie Márquez – Großes leistet. Damit bestätigt das Bild auf versteckteste Weise eine unserer konventionellsten Vorstellungen, dass nämlich Entbehrung und Mangel die wichtigsten Grundlagen für das Über-sich-selbst-Hinauswachsen des Menschen sind. Und indem wir dem Bild dafür danken, dass es diese Konvention wieder einmal bestätigt, statten wir seinem Darsteller, Márquez, ein wenig Bewunderung ab, die sich im sozialen Raum als Ruhm niederschlägt.
Das zweite Beispiel ist ein wenig prekärer; es betrifft Elfriede Jelinek und ihren 1989 veröffentlichten Roman »Lust«. Als das Buch erschien, sahen wir große Fotos, die die Autorin über halbe Zeitungsseiten hinweg abbildeten. Für den Übertritt von der bloß literarischen Bedeutung eines Buchs in die Aufmerksamkeit der Massenmedien ist ein konventionelles Porträt heute nicht mehr in jedem Fall ausreichend. Der Autor (die Autorin) muss mit einer nicht für ihn oder sie, sondern für das Buch und seine Phantasmen charakteristischen Geste erscheinen. Die Geste von Elfriede Jelinek bestand darin, dass wir sie – als erste abgebildete Autorin überhaupt – als eine Liegende sahen. Und als liegende Autorin (mit entblößten Schultern, entblößten Armen, aufgestütztem Kopf) korrespondierte ihr Bild auf eine zwar undeutliche, aber direkte Weise mit dem Titelversprechen des Buchs. Damit verstärkte das Foto die lockenden Wirkungen des Buchs oder setzte diese überhaupt erst frei. Es soll nicht gesagt sein, dass die Autorin ihr Buch mit bildhaften Mitteln hat darstellen wollen. Und es soll auch nicht gesagt sein, dass die Autorin mit diesem Foto einen autobiografischen Bezug zur Heldin ihres Romans habe andeuten oder vorgeben wollen. Es kommt nur darauf an, dass für den Leser, der die Abwesenheit der Autoren durchbrechen will, eine phantasierbare Linie zwischen Buch und Autor leicht möglich sein soll, eine Linie, deren Qualität in der Undeutlichkeit liegt, die sie mitteilt. Dieses Verbindungsstück stiftet auch hier das Foto. Wir sehen wieder nur ein Bild und sehen doch zugleich viel mehr als ein Bild; in diesem Spielraum trägt sich der Roman des Lesers zu.
Ein Spezialist der sicheren Empfindung
Peter Altenbergs Aktualität
In seiner kurzen Erzählung »Ein schweres Herz« betritt ein »schöner großer Herr« mit einem »kleinen wunderbaren Mädchen« ein Café.
Von dem Mädchen heißt es: »Es war eigentlich ein Engel ohne Flügel, in einer gelbgrünen Sammt-Jacke.«
Kurz darauf äußert das Mädchen einige Proben seiner kindlichen Einfalt, für die es vom Vater (er ist der »schöne große Herr«) gerügt wird:
»›Lange Haare – kurzer
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