Idyllen in der Halbnatur (German Edition)
die Abbilder ihrer Verfasser. Die wenigen Musil-Fotos zeigen einen verzagten, in sich gekehrten Mann, dem nichts ferner lag als die Idee, anstelle eines neuen Werks, auf das bei ihm immer zu warten war, wenigstens ein paar wirkungsvolle Fotos in die Welt der Verwerter zu lancieren. Dasselbe gilt für Robert Walser; dieser ganz und gar zurückhaltende Autor kam niemals auf den Gedanken, ein Porträt von sich als Versandartikel in sein Prosastückli-Geschäft aufzunehmen. Es ist kein Zufall, dass das einzige, immer wieder reproduzierte Foto von Robert Walser, das die Bedingungen eines halbwegs passablen Autorenporträts erfüllt, beiläufig-zufällig bei einem Bummel durch das Berliner Kaufhaus Wertheim entstand – und zwar kurz bevor er auf dem Sprung war, »gräflicher Diener« zu werden, wie er seiner Briefgeliebten Therese Breitbach am 1. Januar 1925 schrieb.
Wie anders dagegen Thomas Mann und Arthur Schnitzler! Nie waren ihre Leser im Unklaren darüber, wie sie aussahen. Thomas Mann – es gibt dieses Foto – ist sogar von hinten fotografiert als Thomas Mann erkennbar. Schon frühe Bilder zeigen einen überaus gepflegten jungen Mann; die Anzüge sitzen perfekt, die Hemdenkragen sind frisch gestärkt und blühend weiß, die Frisur nie zerzaust, der Bart nicht struppig, die Blume im Knopfloch nicht welk, die Bügelfalten immer scharf, die Gamaschen nicht verdreckt und die Schuhe immer blank. Kaum einmal sehen wir ihn entspannt oder gar lässig; er wollte in jeder Situation vorzeigbar sein. Auch dann, wenn er unrepräsentativ im Gras sitzt, wird daraus ein Publikum gewinnendes Bild. Ein Gentleman in der Sommerfrische – natürlich wieder mit den passenden Zutaten: weiße Hose, weißer Pulli, weißes Hemd. Schon 1905 – Thomas Mann war gerade dreißig Jahre alt – ließ sich der Lübecker Autor wie sein eigenes Denkmal fotografieren. Staubfrei, faltenlos und puppenartig leblos sitzt er an einem Tisch. Es genügt ein Blick auf dieses Bild, und es ist klar, dass die am Beginn der Moderne vielleicht entscheidendste Frage, ob jemand ein Autor eher für sich oder für die anderen sei, sich diesem Schriftsteller nie gestellt hat. Aus dem Porträt von 1905 ist heute eine Postkarte geworden, die an Lübeck-Reisende verkauft wird. Das Foto als Touristen-Souvenir ist die notwendig letzte Station eines mit dem Schreiben gleich ursprünglich einsetzenden Drangs zur Repräsentation geworden.
Arthur Schnitzler gehört zu den Autoren, die mit ihren Fotos fast schon einen Bildkult getrieben haben. Er hat die Fotografie vom Beginn seiner Karriere an eingesetzt, zunächst nur als narzisstischen Selbstkommentar, der es ihm erlaubte, fast täglich in Übereinstimmung mit seiner Eitelkeit zu leben. Im Wiener Prater gehörte das Schnellfoto schon vor der Jahrhundertwende zu den volkstümlichen Vergnügungen. Schnellfotos, die damals noch Ferrotypien hießen, waren nichts weiter als Jahrmarktfotos, die populär waren, weil sie jedermann die Möglichkeit zu maskenhafter Verstellung eingeräumt haben. Auf diesen Billigbildern sehen wir Arthur Schnitzler seine Rollen einstudieren. Mal zeigt er sich mit einem Buch in der Hand, dann bloß mit Zigarette oder mit weißem Strohhut und Stock am Tisch. Ein andermal sehen wir ihn mit Tennisschläger oder mit Schirm und Melone – ein buntes Spiel der Selbstinszenierung, naiv und berechnend zugleich. In seiner Autobiografie »Jugend in Wien« hat Schnitzler diese Jahre so kommentiert: »Der Snob in mir erwacht und entwickelt sich aufs lächerlichste. Freude, im Fiaker zu fahren und darin gesehen zu werden (…) ich wechsle meinen Schneider, trage keine weichen Hüte mehr. Gehe zu Stehkrägen über (…) Ehrgeiz, elegant zu werden. Nicht ganz unmöglich, dass meine künstlerischen Ambitionen den mondänen gegenüber fast zurücktreten, bis mein Verstand und meine Selbsterkenntnis mir den richtigen Weg wiesen.«
Später bezog Schnitzler auch seine Familie in seine Selbstdarstellung ein. Auf vielen Fotos sehen wir ihn zusammen mit Frau Olga und Sohn Heinrich; Olga und das Kind sitzen nebeneinander auf einem Sofa, und Arthur Schnitzler steht an der Seite oder dahinter. Was alle drei verbindet, ist ein stark dekorativer Zusammenhang. Olgas Kleid ist wie ein Fächer weit ausgebreitet, es verdeckt das halbe Sofa und berührt zugleich den Boden. Ihr großer Hut ist ein Blickfang, der Intimität und Unnahbarkeit zugleich bestimmt. Auch das Kind trägt einen fast ebenso großen Hut in der Hand. Über
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