If You Stay – Fuereinander bestimmt
verstehst das nicht. Du hast ja keine Ahnung, wie oft ich mich in den letzten Jahren gefragt habe … was gewesen wäre, wenn ich an jenem Tag früher aus dem Büro nach Hause gekommen wäre. Wenn ich nicht noch den Wagen aufgetankt hätte. Unterwegs an einer roten Ampel weniger hätte halten müssen. Wäre eines davon eingetreten, hätte ich es vielleicht verhindern können. Diese Überlegungen waren schrecklich. Doch nun zu erfahren, dass der Briefträger für ihren Tod verantwortlich ist … nun wiegt meine Schuld um vieles schwerer. Denn wenn ich ihn ernst genommen hätte, wenn ich den perversen Wichser in ihm gesehen hätte, der er war, dann wäre deine Mutter heute noch am Leben. Das ist eine unbestreitbare Tatsache.«
Ich stürze den Rest meines Wassers hinunter, bevor ich antworte.
»Dad, Mom ist sich ganz offensichtlich auch nicht im Klaren darüber gewesen, wie krank der Kerl wirklich war. Du hast gesagt, dass ihr euch über ihn lustig gemacht habt. Das bedeutet, dass er es sehr gut versteckt hat. Du bist doch nicht schuld daran, dass der Kerl ein krankes Gehirn hat. Wie hättest du das denn wissen sollen?«
Ich sehe meinem Vater an, dass er mir nicht glaubt, und wir beenden das Essen schweigend. Ehrlich gesagt, sind wir wohl beide froh, mit unseren Gedanken allein sein zu können.
Nach einer wenig erholsamen Nacht suchen wir am nächsten Morgen die Polizeiwache auf. Der Detective freut sich ausgesprochen, von uns zu hören.
»Dieser Fall verfolgt mich seit Jahren«, gesteht er mir und presst die Lippen zusammen. »So etwas hatte ich zuvor noch nicht erlebt. Ich werde es niemals vergessen. Vor allem nicht den Ausdruck auf Ihrem kleinen Gesicht. Ihre Augen waren so riesig und traurig. Sie hatten das Unvorstellbare gesehen. Freut mich, dass was Anständiges aus Ihnen geworden ist.«
Anständig?
Nun ja, das ist fraglich.
Er nimmt meine Aussage auf und versichert uns, dass sie sich eine richterliche Anordnung besorgen werden, um DNA -Proben bei unserem alten Briefträger zu nehmen, sobald sie seinen Namen ermittelt haben. Ich verspüre eine tiefe Befriedigung, als wir die Polizeiwache verlassen und in die kühle, frische Luft hinaustreten.
Vielleicht wird der Gerechtigkeit nun doch endlich Genüge getan werden. Auch wenn es siebzehn Jahre gedauert hat.
»Wo ist sie begraben?«, frage ich meinen Vater, als wir in den Wagen steigen. Er sieht mich an.
»Lass uns Blumen besorgen und am Friedhof vorbeifahren, ich werde es dir zeigen.«
Und genau das machen wir. Wir halten unterwegs an, um ein Dutzend Rosen für jeden von uns zu kaufen, und fahren dann weiter zu einem wunderschönen, ruhigen Friedhof. Er ist von Bäumen gesäumt, und an den Zweigen hängt Eis, das in der Wintersonne funkelt. Alles strahlt eine heitere Ruhe aus. Ich komme zu dem Schluss, dass dies, wenn man schon beerdigt werden muss, ein guter Ort dafür ist.
Während wir zwischen den Gräbern hindurchgehen, habe ich das Gefühl, hier schon einmal gewesen zu sein, und ich weiß, dass es so ist. Da sind flüchtige Erinnerungen an Moms Beerdigung, an den Sarg, der in die Erde hinabgelassen wird, und an dieses Gefühl unendlicher Traurigkeit, während ich dabei zusehe.
Ich schlucke.
Vor uns erblicke ich eine Engelsfigur, die mir bekannt vorkommt. Sie liegt auf einer Steinplatte, weint in ihre Hände, und ich weiß, dass sie sich an dem Grab meiner Mutter befindet. Ich erinnere mich an sie.
»Dein Großvater hat die Figur aufstellen lassen«, sagt mein Vater und nickt zu ihr hinüber.
»Ich finde sie passend«, sage ich.
Neben dem Engel steht der Grabstein meiner Mutter. Er ist aus weißem Marmor und glänzt hell. Ich drehe mich zu meinem Vater um. »Jemand kümmert sich darum.«
Er nickt. »Natürlich. Ich bezahle dafür.«
Wie hätte es auch anders sein können.
Ich schaue auf den Stein hinab.
Susanna Alexander Tate
Geliebte Ehefrau und Mutter
In Schönheit wandelte sie
und ruhet nun in Frieden
Der kalte Wind weht sanft über mein Gesicht, und wieder einmal spüre ich einen Kloß im Hals. Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich schon seit vielen Jahren nicht mehr an ihrem Grab gewesen bin. Ich knie mich hin, um meine Blumen in der Nähe ihres Namens abzulegen, und zum ersten Mal seit einer Ewigkeit kullert mir eine Träne über die Wange. Ich wische sie weg.
»Glaubst du, dass sie wirklich in Frieden ruht?«
Mein Vater sieht mich an.
»Junge, du hast deiner Mutter so viel Freude bereitet. Durch dich hat sie erst ihren
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