If You Stay – Fuereinander bestimmt
dachten, er sei nur etwas verschroben und einsam. Ich hatte ja keine Ahnung …«
Die Stimme versagt ihm, und er schaut eine Minute lang zur Seite, um sich zusammenzureißen, ehe er mich wieder ansieht.
»Hol deine Sachen, Pax. Dieser kranke Dreckskerl wird dafür büßen.«
Die Vorstellung auf ein bisschen Wiedergutmachung spornt mich an, und ich stehe vom Sofa auf, um eine Tasche zu packen. Als ich meine Zahnbürste in meine kleine Reisetasche stopfe, bemerke ich einen Ring, der neben dem Waschbecken liegt. Ich hebe ihn auf. Mila muss ihn dort liegen lassen haben. Es ist der Ehering ihrer Mutter. Ich streife ihn über meinen kleinen Finger und packe den Rest ein.
In der Eile vergesse ich mein Handy, und das fällt mir erst auf, als wir schon Richtung Chicago unterwegs sind.
»Mach dir nichts draus«, sagt mein Vater. »Wenn du ein Handy brauchst, kannst du meines benutzen. Wir werden ohnehin nicht lange fort sein. Vielleicht zwei Tage, mehr nicht. Das ist eine Riesensache, Pax. Dieser verdammte Mistkerl wird endlich das bekommen, was er verdient hat. Sie müssen nur noch seine DNA vergleichen.«
So lebhaft habe ich meinen Vater noch nie gesehen. Seine Augen funkeln.
»Dad«, sage ich, »wieso warst du der Ansicht, dass es das Beste wäre, wenn ich mich nicht erinnere? Was hast du damit gemeint? Am besten für mich? Oder am besten für dich?«
Mein Vater bedenkt mich mit einem ernüchterten Blick, bevor er seine Augen wieder auf die Fahrbahn richtet.
»Vielleicht für uns beide. Ich wusste, dass du an den Erinnerungen zerbrechen würdest. Und nachdem sie die Schmauchspuren an deiner Hand entdeckt hatten, wollte ich wohl nicht mehr genau wissen, was passiert ist. Und ich war mir nicht sicher, ob ich es jemals hätte überwinden können, wenn herausgekommen wäre, dass du ihren Tod verursacht hattest.«
»Aber ich war noch ein Kind«, protestiere ich. »Ich habe versucht, ihr zu helfen.«
»Ja«, stimmt mir mein Vater zu und richtet wieder kurz seinen Blick auf mich, »das warst du. Und ich bin froh, dass du das einsiehst. Auch ich war damals übel dran. Trauer kann einen Menschen kaputt machen. Und um damit fertigzuwerden, habe ich mich in die Arbeit gestürzt. Und als der Schmerz auch dann immer noch nicht aufhören wollte, bin ich mit dir auf die andere Seite des Landes gezogen.«
»Und hat es geholfen?«, frage ich ihn.
Er sieht mich an. »Nein.«
Ich blicke auf meine Hände und starre den Ring an meinem Finger an. Ich nehme ihn ab, drehe ihn immer und immer wieder in meinen Fingern. Auf der Innenseite sind Worte eingraviert. Ich bemühe mich, sie zu lesen.
Die Liebe hört niemals auf.
Ich schlucke.
Mir wird wohl niemals jemand einen solchen Satz in einen Ring gravieren lassen. Wer sollte mich schon lieben? Ich habe doch alle im Stich gelassen. Erst meine Mutter. Dann meinen Vater, als ich meine Erinnerungen verdrängt habe und niemandem erzählen konnte, wie der Mörder aussah. Und nun auch Mila. Ich weiß, dass ich ihr das Herz gebrochen habe, und ich bezweifele, dass ich jemals imstande sein werde, es wieder zusammenzusetzen.
Meine Augen beginnen zu brennen, und ich schließe sie.
Ich mache ein Nickerchen am Flughafen, bis unsere Maschine startet, und schlafe dann im Flugzeug weiter. Ich denke darüber nach, Mila anzurufen, entscheide mich aber dagegen. Eine solche Unterhaltung sollte man nicht am Telefon führen. Ich muss sie dabei sehen, ihr von Angesicht zu Angesicht gegenübersitzen. In der Zwischenzeit habe ich etwas Wichtiges zu tun.
Als wir in Hartford gelandet sind, checken wir in eine Nobelherberge ein. Beim Abendessen in dem schicken Hotelrestaurant schweigen wir uns die meiste Zeit über an.
Ich sehe zu, wie mein Vater eine ganze Weile geistesabwesend den Scotch in seinem Glas herumwirbelt, ehe ich endlich den Mund aufmache.
»Es war auch nicht deine Schuld, Dad.«
Er blickt auf und sieht mich an.
»Ach nein? Pax, wir haben uns über diesen Kerl lustig gemacht. Über den verdammten Briefträger. Ich habe ihn für eine Lachnummer gehalten. Aber er hat mir mein Leben genommen. Er hätte mich auch genauso gut umbringen können. Damit hat er wohl die Lacher auf seiner Seite.«
Die Seelenqualen, die ihm dies verursacht, spiegeln sich auf dem Gesicht meines Vaters wider, und obwohl ich stinksauer auf ihn bin, habe ich zugleich auch Mitleid mit ihm. Ich vermag mir gar nicht vorzustellen, wie er sich fühlt.
»Dad«, versuche ich es wieder. Aber er unterbricht mich.
»Pax, du
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