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Ihr schafft mich

Ihr schafft mich

Titel: Ihr schafft mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolaus Nuetzel
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Rolle.
    Das zeigt sich sehr hübsch an einer kleinen Zeittafel zur Einführung des Wahlrechts für Frauen (man mag es heute kaum noch glauben, aber bis vor gar nicht langer Zeit waren politische Abstimmungen reine Männersache):
    Einführung allgemeines Wahlrecht für Frauen – eine kleine Auswahl:
    1906: Finnland
    1918: Österreich
    1919: Deutschland
    1928: Großbritannien
    1930: Türkei
    1933: Spanien
    1971: Schweiz
    1990: Schweizer Kanton Appenzell Innerrhoden

    Diese Tafel zeigt einen Befund, der durchaus überraschen kann. Das allgemeine Wahlrecht für Frauen in der islamischen Türkei ist in etwa zur gleichen Zeit eingeführt worden wie im christlichen Großbritannien. Und auch gegenüber Deutschland und Österreich lag die Türkei nur wenige Jahre zurück. Spanien hat sogar drei Jahre länger gebraucht als die Türkei, um Frauen – zumindest offiziell – umfassend an demokratischen Entscheidungen zu beteiligen. Und die Schweiz war, je nachdem, wie man rechnet, 40 bzw. 50 Jahre später dran als die Türkei.
    Kleine Quizfrage zwischendurch: Bis wann durften verheiratete Frauen in Deutschland nur arbeiten, »soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist«?
    Antwort A: Dieser Frauen unterdrückende Gesetzesparagraph wurde 1377, im Mittelalter, abgeschafft.
    Antwort B: Der Frauen verachtende Paragraph wurde 1777, in der Zeit kurz vor der Französischen Revolution, abgeschafft.
    Antwort C: Dieser abstruse Paragraph war noch im Jahr 1977 gültig und wurde erst dann aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch gestrichen.
    Man mag es kaum glauben: Antwort C ist richtig. Erst seit dem Jahr 1977 dürfen verheiratete Frauen in Deutschland einen Arbeitsvertrag abschließen, ohne dass ihr Ehemann es ihnen verbieten kann.
    Es ist nicht das Tuch, das stört.
    Es klingt also auf den ersten Blick nachvollziehbar, wenn jemand behauptet, er habe im Interesse der Frauen etwas dagegen, dass türkische, bosnische oder auch afghanische Frauen Kopftücher tragen. Schließlich kann man ja diese Kopftücher als Zeichen der Unterdrückung von Frauen und Mädchen deuten. Doch die Sache mit der Unterdrückung ist etwas komplizierter, als es erst einmal scheint. Um gut begründen zu können, was einen an Kopftüchern stört, müsste man sich also schon etwas mehr Mühe machen, als zu behaupten: »Das Tuch unterdrückt.«
    Doch diese Mühe machen sich viele christliche oder atheistische Europäer nicht so gern. Und so liegt eine ganz andere Erklärung nahe, warum sich viele Leute an Kopftüchern stören. Die Tücher sind ein Zeichen dafür, dass jemand zu einer bestimmten Gruppe gehört. Und verschiedene Gruppen der menschlichen Gesellschaft, die sich voneinander abgrenzen, geraten immer mal wieder aneinander. Diese Beobachtung ist so alt wie die Menschheit.
    Ipek beispielsweise trägt ihr Kopftuch, weil es ein Zeichen dafür ist, dass sie ihre Wurzeln in der Türkei hat. Trotzdem fühlt sie sich auch als Deutsche. Sie sagt: »Ich spreche Deutsch, ich habe einen deutschen Pass. Das genügt aber nicht. Das Kopftuch stört noch. Aber was ist denn, wenn ich es abnehme? Dann sieht man pechschwarze Haare. Soll ich die blond färben lassen?« Ipek ist also das, was man integriert nennt. Aber sie ist nicht bereit, sich zu assimilieren .
    Kowalski? Du bist ja wohl Ausländer, oder?
    Von Assimilation sprechen Gesellschaftsforscher, wenn sich eine Bevölkerungsgruppe, die sich zunächst vom Rest der Bevölkerung unterscheidet – beispielsweise durch Sprache, Religion oder bestimmte Gebräuche –, mehr oder minder komplett an die Mehrheit angleicht. Ein Beispiel für Assimilation in Deutschland sind die sogenannten »Ruhrpolen«. Im 19. Jahrhundert sind Hunderttausende Männer und Frauen aus Polen ins Ruhrgebiet eingewandert. Es gibt Statistiken, wonach in Städten wie Gelsenkirchen oder Wattenscheid zeitweise mehr als ein Fünftel der Einwohner Polen waren. Sie wurden vor allem als Arbeitskräfte für den Kohlebergbau angeworben. Namen wie Kowalski, Schimanski oder Matussek zeigen noch, wer polnische Urgroßeltern oder Ururgroßeltern im Stammbaum hat. Ansonsten wird man sich schwertun, Unterschiede zu irgendwelchen Schröders, Bauers oder Schmidts zu finden.
    Wäre es also nicht denkbar, dass sich auch Türken, Bosnier oder Iraker in Deutschland zügig

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