Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ihr schafft mich

Ihr schafft mich

Titel: Ihr schafft mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolaus Nuetzel
Vom Netzwerk:
aushalten. Weswegen ja auch Menschen aus anderen Teilen der Welt zu Hunderttausenden in solche Länder strömen. Das heißt aber nicht, dass alles gut ist. Wer einen größeren Schleier des Nichtwissens zur Hand nimmt und diesen Schleier über die ganze Welt breitet, der wird feststellen: Eigentlich kann die Welt nicht so bleiben, wie sie ist.
    Wer sich beim Gedankenexperiment von John Rawls auf die Möglichkeit einlässt, dass er in einem Slum in Bangladesch geboren wird, in einem Armenviertel in Peru oder in irgendeinem Dorf in Somalia, der erkennt sofort: Die Regeln, nach denen die gesamte Welt organisiert ist, sind so schreiend ungerecht, dass sie eigentlich sofort geändert werden müssten. Diese Regeln lassen zu, dass Hunderte Millionen von Menschen so arm sind, dass sie ständig in der Gefahr leben, an ihrer Armut zu verrecken. Millionen von Menschen sind ständig in der akuten Gefahr, Opfer von Gewalt zu werden. Vernünftige Menschen können so etwas eigentlich nicht akzeptieren. Auch wenn sie selbst das Glück haben, in einem reichen, friedlichen Land geboren zu sein.
    Die Regeln der Armut
    Stellt sich die Frage: Was tun? Einen Geldschein nehmen und irgendwie nach Somalia schicken? Nur noch Hosen aus fairem Handel kaufen, damit die Arbeiter in den Textilfabriken in Bangladesch mehr Geld erhalten? Wo bekomme ich solche Hosen? Und was ist mit den Leuten in Bangladesch, die nicht mal eine mies bezahlte Arbeit haben? Was kann ich für diese Bettler tun? Die haben ja nichts von einem höheren Lohn für die Näher.
    Soll ich also Geld spenden? Das ist ja etwas, was in unserem Land eine anerkannte Sache ist. Es entspricht durchaus der gesellschaftlichen Norm, etwas abzugeben für die Armen dieser Welt. Wie aber wäre es, wenn jemand so gut wie seinen gesamten Besitz weggäbe – und nur noch von Leitungswasser und Haferflocken lebte? Wenn er das Haus, das er erbt, verkaufte, um den Erlös zu spenden – wie fänden das seine Freunde, seine Verwandten? Wie fänden es eine 14-jährige Tochter und ein 16-jähriger Sohn, wenn ihr 40-jähriger Vater Omas Erbe komplett den Bettlern in Kambodscha schenkte?
    Klare Antwort: Sie würden diesen Menschen für durchgeknallt halten. Ein oder zwei Prozent des eigenen Einkommens weggeben, das wäre denkbar. Vielleicht auch acht oder neun Prozent. Doch achtzig oder neunzig Prozent spenden, das wäre ein grober Verstoß gegen die Regeln. Sollte man also gegen diese Regeln verstoßen und sich nicht darum kümmern, dass man als verrückt gilt? Tja.
    Auf jeden Fall sollte man eines erkennen. Es geht tatsächlich um Regeln. Um Regeln, die – wenn man vernünftig darüber nachdenkt – geändert werden müssen : die Regeln, nach denen Wirtschaft und Politik auf dieser Welt funktionieren. Der Friedensnobelpreisträger Mohammed Yunus versucht in Bangladesch, armen Menschen mit sogenannten Mikrokrediten die Möglichkeit zu geben, zu arbeiten und für sich selbst ein bisschen Wohlstand zu schaffen. Yunus meint: »Um Armut abzuschaffen, brauchen wir die notwendigen Veränderungen bei Institutionen und Politik.« Und er ergänzt: »Wohltätigkeit ist keine Antwort auf Armut. Sie trägt nur dazu bei, dass Armut weiter fortbesteht.«
    Es geht also darum, Regeln zu verändern. Weltweit. Wie das geht? Eva, die ihr Zelt bei Occupy Frankfurt aufgeschlagen hat, weiß das auch nicht so genau. Die Begriffe, mit denen andere Camp-Teilnehmer jonglieren, sagen ihr nichts. Tobin-Steuer einführen, Hedgefonds an die Leine nehmen, nackte Leerverkäufe verbieten. Eva gibt zu, dass sie dazu nichts sagen kann. »Politik ist schon verdammt schwierig«, meint sie. So schwierig, dass sie von ihrem Wahlrecht bis jetzt noch nicht Gebrauch gemacht hat. Keine der Parteien, bei der sie ihr Kreuz hätte machen können, hat sie überzeugt.
    Eva sagt zwar: »Ich finde Wahlen super! Ich finde es klasse, wenn man etwas gestalten kann.« Aber selbst wählen geht sie nicht. Bis jetzt zumindest. Sie gibt zu, dass das ein bisschen verrückt klingt. Aber immerhin befindet sie sich in guter Gesellschaft. Nicht zu wählen, war in Deutschland einige Jahre lang fast schon ein Normverstoß. Heute ist das nicht mehr so. Womit sich aber ein paar Fragen stellen: Ist das gut so? Und warum ist das so?

Kapitel Fünfzehn
    Wahlen ändern nichts? Denn sonst wären sie verboten?
    Warum es so

Weitere Kostenlose Bücher