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Ihr schafft mich

Ihr schafft mich

Titel: Ihr schafft mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolaus Nuetzel
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München-Bogenhausen lebt. Denn dann würde er vielleicht einen Steuersatz von 1 Prozent für gerecht halten und ein Arbeitslosengeld in Höhe von 100 Euro. Über dem Experiment soll ein »Schleier des Nichtwissens« liegen, sagte Rawls.
    Weil ihnen dieser Schleier sozusagen die Augen verdeckt, wissen die Menschen nicht, an welche Stelle einer Gesellschaft sie geraten. Unter dieser Voraussetzung sollten die Menschen die Regeln einer Gesellschaft so festlegen, dass sie über jede Lebenssituation sagen können: »Ja, das geht auch für mich selbst in Ordnung.« Sie sollten also sagen können: »Auch wenn ich selbst ein schwerbehinderter Arbeitsloser wäre, müsste ich – wenn ich scharf nachdenke – sagen: Ich habe genug Chancen auf ein selbstbestimmtes Leben, dass ich die Gesellschaft als gerecht empfinde.« Die Menschen sollten sich aber auch überlegen, ob eine solche Gesellschaft Anreize dafür bietet, dass die Einzelnen sich anstrengen. Rawls fand durchaus, dass jemand, der sich halbtot arbeitet, mehr Geld haben sollte als jemand, der lieber gar nichts tut.
    Aus diesem Gedankenexperiment lässt sich natürlich nicht auf Anhieb ableiten, ob die staatliche Unterstützung für Langzeitarbeitslose rund 380 Euro im Monat betragen sollte (wie es bei »Hartz IV« in Deutschland der Fall ist) oder vielleicht 570 oder auch 300 Euro. Es lässt sich auch nicht sofort sagen, ob der Steuersatz für Millionäre bei 25 oder bei 75 Prozent liegen sollte. Das Gedankenexperiment ist aber ein interessanter Ausgangspunkt, wenn man die Frage beantworten will: »Was ist gerecht?«
    Wer nachdenkt, sieht ein: Rassismus ist stockdumm.
    Auf einige andere Fragen lassen sich mit dem Gedankenexperiment von Rawls hingegen einfache und klare Antworten finden. Die Frage, ob es gerecht ist, wenn Menschen je nach ihrer Hautfarbe unterschiedliche Möglichkeiten im Leben haben, lässt sich mit einem klaren »Nein« beantworten. Die sogenannte »Apartheid«, die es in Südafrika bis 1994 gab, muss man nicht nur aus einem diffusen Gerechtigkeits- Gefühl heraus ablehnen. Das Gleiche gilt für die »Rassentrennung«, wie sie in den USA in vielen Bundesstaaten bis in die 1950er-Jahre vorgeschrieben war. Die Einteilung von Menschen in »Rassen« und die Unterdrückung von Menschen, weil sie eine bestimmte Hautfarbe haben, ist schlicht dumm.
    Denn kein vernünftiger Mensch wird sich verbieten lassen, jemanden, den er liebt, zu heiraten – nur weil der eine andere Hautfarbe hat. Kein vernünftiger Mensch wird sich vorschreiben lassen, dass er bestimmte Toiletten oder auch Zugabteile benutzen muss, die für Menschen seiner Hautfarbe vorgeschrieben sind. Wer als Weißer in solchen Rassentrennungs-Gesellschaften lebt, mag solche Regeln vielleicht erst einmal gar nicht so schlecht finden. Denn die Rassentrennungsregeln haben, solange sie galten, in Afrika oder auch in den USA dafür gesorgt, dass die Weißen eine deutlich bessere Stellung in der Gesellschaft hatten als die Schwarzen.
    Doch wer unter dem »Schleier des Nichtwissens« über solche Fragen nachdenkt, wüsste ja nicht, ob er nicht vielleicht als Schwarzer in eine rassistische Gesellschaft hineingeboren wird. Und dann wird sofort klar: Rassismus ist nicht nur irgendwie unmoralisch , sondern schlicht idiotisch. Das Gleiche gilt für die Unterdrückung von Frauen. Und natürlich muss auch jedem mit einem Hauch von Verstand klar sein, dass es schlicht idiotisch ist, wenn Menschen verfolgt werden, etwa weil sie in einer jüdischen Familie geboren wurden.
    Alles gut?
    Wenn man sich die Gesellschaft in Deutschland oder anderen modernen Staaten anschaut, findet man keine schreienden Ungerechtigkeiten wie Apartheid-Gesetze mehr. Es gibt auch keine Gesetze mehr, wie sie in Deutschland von 1933 bis 1945 galten, mit denen Juden aller ihrer Rechte beraubt wurden. Es gibt in modernen westlichen Staaten keine Regeln, von denen jeder, der ein bisschen nachdenkt, sagen muss: Die müssen weg. Es gibt eine Menge Regeln, die viele als ungerecht empfinden. Diese Regeln empfinden gleichzeitig viele andere aber durchaus als gerecht. Wer die besseren Argumente hat, darüber wird dann diskutiert.
    Wenn man einen Test mit dem »Schleier des Nichtwissens« allein auf Deutschland, Österreich oder die Schweiz anwendet, kommen solche Länder also gar nicht schlecht weg. Hier kann man es

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