Ihr stolzer Sklave
schauen und dort ihre Verletzlichkeit sehen.
„Gute Nacht.“ Kieran wandte sich abrupt zum Gehen. Iseult brachte es immer noch nicht über sich, die Tür zu öffnen. Das Herz hämmerte in ihrer Brust, und ihre Haut glühte. Obwohl es keinen Grund gab, sich vor ihm zu fürchten, kam sie nicht dagegen an, etwas Ähnliches zu fühlen. Sklave oder nicht, er schüchterte sie ein.
Und Davin erwartete auch noch, dass sie jeden Tag allein mit diesem Mann verbrachte! Das konnte sie nicht.
Nur noch ein paar Tage, ermahnte sie ihr Verstand. Es würde letztlich nicht so viel Zeit benötigen, die Schnitzerei fertigzustellen. Und wenn es getan war, würde sie ihn nie wiedersehen.
Davin Ó Falvey wachte im Morgengrauen auf und betrachtete den leeren Platz neben ihm im Bett. Sein Gemach im Haus seines Vaters war verschwenderisch reich ausgestattet. Nur die weichsten Stoffe bedeckten sein Bett, und polierte Schildkrötenpanzer zierten die Wände. Er besaß alles, was ein Mann sich wünschen konnte: Gold, feine Gewänder und das Versprechen, einmal Häuptling zu werden. Und doch bedeutete ihm der ganze Reichtum nichts, wenn Iseult ihn nicht mit ihm teilte.
Er liebte sie sehr und konnte sich keine größere Freude vorstellen, als neben ihr aufzuwachen. Nie hatte er eine schönere und vollkommenere Frau gesehen. Auch wenn seine Mutter über ihren niederen Stand schimpfte, das zählte alles nichts. In wenigen Wochen würde sie ihm gehören.
Davin zog sich passende Kleidung für die Jagd an und wählte Bogen und Pfeile. Er wollte für Iseult sorgen, ihr zeigen, wie viel ihm an ihr lag. Und vielleicht würde sie eines Tages seine Liebe erwidern.
Oh, er wusste, dass sie nicht die gleichen Gefühle für ihn hegte. Noch nicht. Gott musste ihm helfen, jedes Mal, wenn er an den Mann dachte, der einst bei ihr gelegen hatte. Am liebten wollte er Murtagh Ó Neill die Eingeweide herausreißen. Weil er sie angerührt hatte. Und weil er ihr das Herz brach.
Draußen befahl er, ihm ein Pferd zu bringen. Als der Knecht mit Davins Wallach Lir zurückkam, blieb Davin stehen, um das Gesicht des Sklaven zu betrachten. Anders als Kieran verhielt sich der Mann devot und senkte unterwürfig den Kopf. Davin konnte sich noch nicht einmal an seinen Namen erinnern.
Bei Kieran Ó Brannon war das etwas ganz anderes. Kieran ertrug seine Wunden mit der Selbstverständlichkeit eines Kriegers.
Was war das für ein Mann? Davin lebte schon so lange mit Dienern und Sklaven, dass er sie kaum noch wahrnahm. Aber Kieran Ó Brannon zog auf eine Art Aufmerksamkeit auf sich, die vermuten ließ, dass er kaum als Unfreier auf die Welt gekommen war. Das ließ Davin nur noch neugieriger auf des Mannes Vergangenheit werden.
Kierans Können, was das Schnitzen betraf, war erstaunlich. Das war die Arbeit eines Meisters und übertraf bei Weitem Seamus’ Fertigkeiten. Wie war es dazu gekommen, dass aus einem Mann mit solchem Talent ein Sklave wurde? Davin konnte es nicht verstehen.
Vor Seamus’ Hütte hielt er an und schaute hinein. Kieran saß auf der Bank und trieb mit dem Hammer einen Meißel ins Holz. Er war voll und ganz auf seine Arbeit konzentriert, und erst als Davins Schatten auf ihn fiel, blickte er auf.
„Ich bin noch nicht fertig.“
„Das merke ich. Ich möchte gern sehen, was du bis jetzt geschnitzt hast.“ Zögernd legte Kieran den Meißel beiseite. Davin trat näher, legte den Bogen aus der Hand und griff nach der Schnitzerei. Das Gesicht seiner Geliebten tauchte langsam aus dem Holz hervor. Iseults traurige Augen, das lange Haar, das sich an ihre Wange schmiegte … alles war vorhanden.
Außer ihrem Lächeln.
Davin reichte das Stück Holz zurück. „Es ist eine schöne Arbeit.“ Er trat zur Seite, sodass das Sonnenlicht wieder in die Hütte fallen konnte. „Meine Männer gehen heute Morgen auf die Jagd. Ich möchte, dass du uns begleitest.“
„Ich muss das hier zu Ende bringen“, widersprach Kieran. Er nahm eine Schale, die geschmolzenes Tierfett enthielt, zur Hand und einen Lederlappen. Mit geübten Bewegungen rieb er das Holz mit dem Fett ein und brachte so seine natürliche Maserung zum Vorschein. Das Fett würde verhindern, dass die Schnitzerei Risse bekam.
„Das war keine Bitte.“ Davin nahm seinen Bogen wieder auf. „Ich werde dich mit Waffen ausstatten. Triff uns in einer Stunde am Tor.“ Es kümmerte ihn nicht, ob sein Sklave mitkommen wollte oder nicht. Er hegte einen
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