Ihr stolzer Sklave
„Ich habe keinen Mann. Aber ich bin nicht allein erschienen“, fügte sie hinzu. Und als der König sie mit verschlagenem Blick betrachtete, rückte sie Hilfe suchend dichter zu Niamh.
König Brian besprach sich mit einigen seiner Berater, schließlich schüttelte er den Kopf. „Wir haben viele Pflegekinder, aber ihre Familien sind uns bekannt. Wenn dein Sohn gestohlen wurde, so brachte man ihn wahrscheinlich auf einen Sklavenmarkt. Das heißt, falls er noch lebt.
Vielleicht möchtest du dich mit den Händlern unterhalten.“ Mit einem Nicken entließ er sie.
Auch wenn Niamh sie bei der Hand nahm, während sie hinausgingen, Iseult spürte es kaum. Sie wusste, dass viele Kinder in die Sklaverei verkauft wurden, doch die meisten von ihnen waren als fudir auf die Welt gekommen.
Noch nie hatte sie eine Sklavenauktion besucht. Hören zu müssen, wie man Kinder von ihren Müttern trennte, wie das Leben von Menschen zur Knechtschaft verdammt wurde, hätte sie zu sehr belastet. Obwohl Davin seine Sklaven nie anders als freundlich behandelte, hätte sie selbst am liebsten gar keine Diener besessen.
„Lass uns nach Hause reiten“, drängte Niamh und ging mit ihr zu den Pferden.
Iseult stieg auf. Sie merkte kaum, wie sie losritten. Wieder ein misslungener Versuch. Und vielleicht war ihr Sohn jetzt sogar ein Sklave.
Es mochten Welten zwischen ihr und ihm liegen. Sie hatte von Handelsschiffen gehört, besonders von den Langbooten der Nordmänner, die irische Sklaven oft in Länder jenseits des Meeres veräußerten.
Ein leichter Regen fiel auf sie nieder, aber Iseult merkte auch das kaum.
Kieran war auf Sklavenmärkten gewesen. Er war quer durch Éireann gereist. Ob er Antworten auf ihre Fragen wusste?
Sie musste an den Augenblick denken, als seine Hand ihr Haar berührte.
Er hatte sie gewarnt, hatte gesagt, sie solle ihm fernbleiben. Und kein einziges Mal hatte er über seine Vergangenheit gesprochen.
Wie kam sie nur auf den Gedanken, dass er ihr helfen würde? Er war ein Fremder. Sie wollte sich ihm nicht anvertrauen und sich auf solche Art bloßstellen. Er gehörte zu den Männern, die aus der Schwäche anderer ihre Vorteile zogen.
Doch es gab nichts mehr, das sie noch hätte tun können. Er war der Einzige, der vielleicht Antworten auf ihre Fragen wusste.
Ihr blieb keine andere Wahl, als Kieran um Hilfe zu bitten.
6. KAPITEL
„Du wärst nicht mitgekommen, wenn ich es dir nicht befohlen hätte, oder?“, fragte Davin.
Kieran schritt hinter Davins Wallach her. „Das wäre ich nicht, nein.“ Er ärgerte sich wegen der Zeit, die er jetzt nicht bei seiner Arbeit verbringen konnte. Noch zwei Tage, und er war mit der Schnitzerei fertig. Er hatte vor, das Holz mit Sand zu schleifen, bis es so glatt war wie die Wange einer Frau. Dann würde er die Oberfläche mit Butter einreiben, bis zusammen mit Iseults Gesicht die natürliche Schönheit der Eibe hervortrat.
Die Erinnerung an sie traf ihn wie ein Faustschlag. Nie hätte er sie berühren dürfen. Er hatte sie vertreiben wollen, stattdessen hatte ihre Begegnung ihn zutiefst erschüttert. Etwas Unerwartetes war zwischen ihnen aufgeblitzt, und er wollte gar nicht wissen, was es gewesen war. Sie war beängstigend schön, eine Frau, die sich ihm ins Gedächtnis eingegraben hatte wie ein Messer in Eibenholz.
Sie war tabu.
Er zwang sich, wieder an die Jagd zu denken. Ohne eigenes Pferd musste er laufen, um mit den Pferden der Jäger Schritt zu halten. Meile um Meile legten sie zurück, und seine Muskeln schmerzten vor Schwäche.
Trotzdem würde er nicht aufgeben – und sollte er dabei zusammenbrechen.
Es kam ihm richtig vor, dass er seinen Körper zwang, bis an seine Grenzen zu gehen. Dass er sogar über seine Grenzen hinausging, um Stärke und Ausdauer zurückzugewinnen.
In Wellen durchströmten Qualen seinen Körper, während er neben den Pferden herlief. Die von den Peitschenschlägen herrührenden Wunden auf seinem Rücken brannten, aber er hielt durch, bis sein Wille die Ohnmacht seines Körpers besiegte.
Als er die frische, kalte Luft einatmete, spürte er, wie sie ihn belebte.
Leben. Wiedergeburt. Der Wind rauschte in seinen Ohren wie die flüsternde Stimme seines Bruders. Gerade so, als wäre Egan immer noch bei ihm.
Der Verlust hatte ihn innerlich erstarren lassen. Sein jüngerer Bruder hatte stets jeden Augenblick des Tages genossen. Er hätte nicht gewollt,
Weitere Kostenlose Bücher