Ihr stolzer Sklave
keine Angst vor dem, was ich anstellen könnte, wenn du mir eine Krummaxt oder ein Messer gibst?“
Davin starrte ihn einen Augenblick lang an, als überlegte er, ob die Drohung echt war. „Ich weiß nicht, wer du bist oder was für Geheimnisse in deiner Vergangenheit liegen. Aber vielleicht warst du einmal ein Mann von Ehre. Und wenn dem so ist, wirst du keinem ein Leid zufügen.“ Ein Mann von Ehre. Sein Vater hatte gewollt, dass er zu einem solchen Mann wurde, zu einem zukünftigen Häuptling, einem Mann, der die Bürden des Stammes auf seine Schultern lud. Vielleicht hatte er selbst das irgendwann sogar einmal vorgehabt. Aber dieser Teil von ihm war für immer verschwunden, seitdem er Egan hatte sterben sehen.
Trotz seiner gefesselten Hände strich Kieran mit dem Daumen über eine feine Erhebung am Rand der Oberfläche.
„Wenn deine Schnitzerei gut ist, schenke ich dir die Freiheit“, sagte Davin.
„Ich gebe dir mein Wort.“ In seinen Augen blitzte eine dunkle Warnung auf.
„Jedenfalls wenn du gehorchst und dich nach meinen Befehlen richtest.“ Leere Versprechungen hatten nichts zu bedeuten. Aber das Holz lockte.
Er konnte sich die fertige Truhe vorstellen: ein Muster aus Ähren als Sinnbild der Fruchtbarkeit; Wasser und Feuer, um die alten Götter zu symbolisieren, und das Antlitz der Jungfrau Maria, um der Braut Trost zu bieten. Man würde Talg benötigen, um ein Reißen zu verhindern. Und schärfere Werkzeuge zum Schnitzen, weil das Holz an Feuchtigkeit verloren hatte.
Es war Monate her, seitdem er ein Messer in Händen gehalten hatte. Er suchte nach einem Mittel, um zu vergessen. Das hier würde ihm noch einmal eine Chance geben. Einen Augenblick lang erlaubte er sich, es sich vorzustellen.
Die Stricke um seine Gelenke scheuerten an den nicht verheilten Wunden. Er schloss die Augen, während in ihm Erinnerungen an seinen Bruder Egan aufstiegen.
Stimmen verhöhnten ihn, die Trostlosigkeit zerriss ihn fast. Nach allem, was geschehen war, konnte es ihm nicht erlaubt sein, Freude bei der Arbeit mit dem Holz zu finden.
„Wie lautet deine Antwort?“, fragte Davin.
Kieran hob das Gesicht zu seinem Herrn auf. „Nein.“ Der Hochmut des Sklaven musste gebrochen werden. Davin hatte befohlen, ihn am Pfosten des Geiselsteins anzubinden und draußen zu lassen. Ein leichter Frühlingsregen hatte begonnen. Vielleicht würde seine unangenehme Lage den Mann zwingen, seine Meinung zu ändern.
Noch nie hatte Davin solch eine Fertigkeit bei Holzschnitzereien gesehen.
Jeder andere Mann würde eine solche Aufgabe willkommen heißen, denn sie war weit einfacher als die Knochenarbeit, welche die meisten Sklaven vollbringen mussten. Er zweifelte nicht daran, dass Kieran die Figur des kleinen Jungen gefertigt hatte. Der Gesichtsausdruck des Sklaven, als er das Eichenholz berührte, zeigte deutlich, dass er ein Fachmann war.
Vielleicht sogar von Adel.
Kieran konnte, wie die meisten Krieger, Schmerzen ertragen. Und wenn es auch grausam war, ihn den Elementen auszusetzen, es musste sein.
Davins Stammesangehörige erwarteten, dass der Sklave für seinen Fluchtversuch bestraft wurde.
Eine Bewegung zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Er sah, dass Iseult zurückkehrte. Zum Schutz gegen den Regen hatte sie die Kapuze tief ins Gesicht gezogen.
Bei ihrem Anblick wurde Davin leicht ums Herz. Nach Beltaine würde sie ihm gehören. Zu wissen, dass er mit solch einer Frau zusammenlebte und jeden Tag ihre Schönheit sehen würde, erfüllte ihn mit Befriedigung.
Sie hielt ihr Pferd nahe dem Geiselstein an und nahm die Kapuze ab, um besser einen Blick auf den Sklaven werfen zu können. Davins Hand schloss sich fester um die mit Fell bespannte Tür, bereit, Iseult von diesem Mann fortzubringen.
Iseult sprach den Sklaven nicht an. Sein schwarzes Haar war feucht vom Regen, seine Wangen waren nass und blutbefleckt. Er saß mit dem Rücken gegen den hölzernen Pfosten gelehnt, die Hände lässig auf die Knie gestützt.
„Genug gesehen?“ Seine dunkle Stimme verunsicherte sie und gab ihr ein unbehagliches Gefühl. Er war starr vor Zorn und äußerst angespannt.
Sie wollte ihn fragen, was er getan hatte, um solch eine Strafe zu verdienen, aber er hätte ihr doch nicht die Wahrheit gesagt. Einen Mann wie ihn sollte man nie einsperren. Seine Augen beobachteten den Ringwall, als würde er nach einem Fluchtweg suchen.
Am liebsten hätte sie ihm den Rücken
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