Ihr stolzer Sklave
zugewandt und ihn, ohne lange nachzudenken, verlassen. Aber sie wollte sich nicht wie ein Feigling benehmen.
„Warum hat er dich bestraft?“, fragte sie ihn.
Er biss die Zähne zusammen. Der Regen strömte ihm über das Gesicht und zeichnete seine eingefallenen Wangen nach. „Weil ich zu flüchten versuchte.“
„Du wurdest nicht misshandelt. Warum wolltest du also fort?“ Davin hatte ihm das Leben gerettet. War er ihm denn nicht dankbar dafür?
„Eine Frau wie du wird das nie verstehen.“
Iseult erstarrte bei dieser Anschuldigung. Was meinte er damit, eine Frau wie sie? Glaubte er, sie wisse nichts von Leid? „Du kennst mich überhaupt nicht.“
Sie beobachtend, erhob er sich langsam. Iseult sah den Schmerz in seinem Gesicht, aber er klagte nicht. „Du solltest nicht hier sein und mit mir reden“, sagte er. „Dein Verlobter beobachtet uns.“
„Ich tue nichts Schlimmes.“
Er trat einen Schritt auf sie zu. Seine Stricke strafften sich. Ein wilder Ausdruck umspielte seine Lippen. „Aber ich habe Schlimmes getan.“ Ihre Vorstellung beschwor Bilder von Mord oder anderen bösen Dingen herauf. Auch wenn Kieran abgemagert war, so strahlte er doch etwas Unbarmherziges aus. Als würde er alles tun, um zu überleben.
„Wurdest du nie vor Männern wie mir gewarnt?“ Sein unverwandter Blick traf sie bis ins Innerste und zehrte an ihren Nerven. Der kühle Regen rann über ihre Haut und kroch wie eine Liebkosung in den Ausschnitt ihres Gewandes. Iseult erschauerte und zog den Mantel enger um sich. Nicht, dass er sie wirklich schützte.
Kierans Gesicht wurde abweisend. Er presste die Lippen zusammen.
„Geht zurück zu Eurem eigenen Herrn, Lady Iseult.“
3. KAPITEL
Der zweite Fluchtversuch schlug fehl. Dieses Mal hatte Kieran es bis jenseits der Tore, fast schon bis zum Wald geschafft, bevor er zusammenbrach. Er wusste nicht, wie lange er dort gelegen hatte. Ob Stunden oder Minuten, es war alles gleich.
Umgeben vom würzigen Duft des Regens und des Grases hatte er seinen Tod herbeigesehnt. Ein Tier, das ihm das Gesicht leckte, hatte ihn ins Bewusstsein zurückgeholt. Es war ein Wolfshund von der Größe eines neugeborenen Fohlens gewesen, und er hatte gejault und gefiept, um die anderen auf ihn aufmerksam zu machen.
Es war mitten in der Nacht, als sie ihn zurück zu Deenas Hütte zerrten.
Seine Haut war ganz runzelig vom Regen und sein Körper taub von der Kälte.
Genau wie zuvor behandelte Deena die Spuren der Peitschenhiebe auf seinem Rücken. Über die brennenden Wunden an seinen Handgelenken, die von den Stricken herrührten, strich sie eine ölige Salbe. Doch statt seine geschundene Haut zu beruhigen, verursachte sie ein Brennen.
„Du solltest dir keine Mühe geben“, sagte er. „Ich habe keine Angst davor zu sterben.“
Die Heilerin musterte ihn, während sie ihre Arbeit tat. Sanft fuhr sie fort, jede seiner Wunden zu behandeln.
„Einst hatte ich einen Sohn“, sagte Deena ruhig und hielt ihm einen Becher mit bitterem Tee hin. Auch wenn er ihn nahm, so trank er ihn doch nicht. Eine Medizin, die Schmerzen stillte, interessierte ihn nicht. Außer das Gebräu brachte ihm vielleicht den letzten Schlaf.
„Ein starker junger Mann, ungefähr in deinem Alter.“ Bei der Erinnerung an ihn lächelte sie, und die feinen Linien um ihre Augen verstärkten sich.
Als würde er ihr keine Aufmerksamkeit schenken, hielt Kieran den Blick auf den einfachen Holzbecher gesenkt. Doch er war sich ihrer Worte wohlbewusst.
„Die bösen Geister, welche die Krankheiten hervorrufen, streckten ihn nieder. Es geschah in einer Frühlingsnacht wie dieser.“ Sie nahm den Becher und hob ihn an seinen Mund. Dabei berührte sie seine Wange. Aber er trank noch immer nicht.
„Ich tat alles, was in meiner Macht lag, um ihn zu retten. Ich gebrauchte jedes Kraut, betete zu jedem Gott, der im Himmel war oder den meine Ahnen gekannt hatten. Aber es war nicht genug.“
Ihre runzlige Hand lag warm auf seiner Haut. Es war die Berührung einer Mutter. „Lange Zeit fühlte ich mich schuldig. Ich wollte sterben, gerade so wie du jetzt.“
Ihre andere Hand wanderte zu seiner Schulter. „Der Schmerz vergeht nicht. Jeden einzelnen Tag musst du ihn aushalten.“
„Ich will nicht, dass mir der Schmerz genommen wird“, erwiderte er heftig.
„Ich will mich erinnern. Und ich will noch den Letzten von ihnen tot sehen für das, was
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