Ihr unschuldiges Herz: Kriminalroman (German Edition)
ungeduldig… wie einem unverständigen Kleinkind gegenüber.
» Natürlich keine Wagenschlüssel«, sagte sie. » Über den Code könnte man ja schließlich ganz einfach den Besitzer ermitteln, und dann hätte ich Ihnen den bestimmt schon genannt. Auch kein Handy, falls Sie das auch noch fragen wollen.«
Langsam, aber sicher ging die kleine Forensikerin Inga Jäger erheblich auf die Nerven, aber sie riss sich zusammen; sie hatte heute schon einmal die Fassung verloren, und das hätte beinahe in einem Fiasko geendet. Doch sie war auch nicht gewillt, zuzulassen, dass ihr die Autistin, wie Gebert es ausgedrückt hatte, auf der Nase herumtanzte.
Da fiel ihr Blick auf einen anderen Gegenstand in dem kleinen Korb. Einen schlichten goldenen Ring.
Ein Ehering.
Gedankenversunken berührte Inga Jäger ihren eigenen.
» Zeigen Sie mir den«, forderte sie.
Keine Samthandschuhe, hatte Gebert gesagt. Ihr sollte das nur recht sein. Samthandschuhe waren ohnehin nie ihr Stil gewesen.
Elli Falkenstein griff gehorsam nach einer Pinzette und holte den Ring hervor.
» Die Innenseite«, sagte Inga Jäger. » Halten Sie ihn so, dass ich die Gravur lesen kann.«
Die Technikerin wollte den Ring drehen, hielt dann aber inne. » Warten Sie«, sagte sie und ging damit zu einem Gerät mit Lichtplatte und Kamera. Sie schaltete beides ein, hielt den Ring mit der Pinzette zwischen Lampe und Linse und deutete dann auf einen der äußeren Monitore.
Dort war der Ring jetzt in vielfacher Vergrößerung zu sehen. Und auch die Inschrift.
» Heiko und Sieglinde«, las Gebert mit seiner tiefen Stimme vor. » 23. Mai 1997.«
» Die Tote hieß also Sieglinde«, sagte Inga Jäger. » Gehen Sie die Dateien der Rheingauer Standesämter durch, und prüfen Sie, welche Sieglinde am 23. Mai 1997 einen Heiko geheiratet hat.«
» Wirklich ein schlaues Mädchen, unsere Oberstaatsanwältin«, sagte Elli. Diesmal lag kein zynischer Ton in ihrer Stimme, sondern eine Spur von Anerkennung. » Ich mache mich sofort an die Arbeit.«
5
Eine alte Werkstatt.
Der Mann mit dem chirurgischen Mundschutz nahm zwei langstielige Holzkochlöffel und drehte damit– mit äußerster Sorgfalt und einer gewissen Heiligkeit im Blick– das Herz in dem flachen, aber breiten Plastikbottich mit dem Formaldehyd herum. Den Vorgang hatte er in den vergangenen neun Stunden geduldig weit über dreißig Mal wiederholt, um sicherzugehen, dass sich auch die letzten Luftblasen aus den Kammern gelöst hatten und das Konservierungsmittel in sämtliche Gewebefasern vorgedrungen war.
Daneben hatte er vier kleinere Becken aufgereiht.
Die ersten drei enthielten Ethanol in von links nach rechts aufsteigender Konzentration.
Das vierte Becken war mit Xylen gefüllt.
Er zog sich Gummihandschuhe an und hob das frische Herz aus dem Bottich. Wieder drehte und wendete er es dabei sorgfältig, um den überflüssigen Formaldehyd austropfen zu lassen. Dann tauchte er es in das erste Ethanolbad.
Der Alkohol diente zum Dehydrieren, also dazu, das Herz von Wasserrückständen zu befreien. Er musste sorgfältig und gründlich vorgehen, denn er wollte, dass das Herz auch noch in hundert Jahren gut konserviert war. Selbst wenn er dann schon lange tot sein würde, musste es, wenn sich die Dinge nicht änderten, noch seinen Zweck erfüllen.
Es stand in zunehmendem Maße zu befürchten, dass sich die Dinge nicht änderten.
Nach den drei Ethanolbädern wechselte er die Handschuhe und tauchte das Herz in das Xylen, das jetzt wiederum den Alkohol lösen sollte. Erst als er mit dem Ergebnis endgültig zufrieden war, nahm er es heraus und stülpte es zum Trocknen mit der großzügig abgeschnittenen Lungenvene auf ein zuvor gut desinfiziertes Stahlgestell, das aussah wie ein kleiner Kleiderständer.
Anschließend ging er zur Werkbank und schaltete den darauf stehenden Wärmeschrank auf exakt fünfundfünfzig Grad Celsius. Die Aufwärmphase des Schranks nutzte er, um unter langsamem Rühren in einem Glasbehälter Paraffin in Ether zu lösen, bis die Flüssigkeit gesättigt war. Dann nahm er mit einer Zange, die er in die Lungenvene einführte, das Herz von dem Trockengestell, hob es in den Behälter, und kurz bevor es ganz eingetaucht war, schnitt er den Teil der Vene, der mit dem Trockengestell und der Zange in Berührung gekommen war, mit einer gründlich desinfizierten Schere ab.
Das Herz rutschte mit einem quatschenden Geräusch in die zähflüssige Lösung und schwebte darin, trotz der etwas mehr als
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