Ihr unschuldiges Herz: Kriminalroman (German Edition)
sich aus Gründen der Political Correctness und vielleicht auch aus Liebe wieder mit seiner Frau versöhnt hat, halten Sie nach wie vor für eine Scharade, die er im Interesse seines guten Rufes noch eine Weile aufrechterhalten muss, und Sie geben die Hoffnung nicht auf, dass er Sie bald wieder zu sich holen wird. Wenn Sie sich dessen so sicher sind, schlage ich vor, Sie kündigen hier und warten zuhause auf einen Anruf, der meiner Einschätzung nach niemals kommen wird, statt Ihren Unmut und Ihre Unsicherheit an mir auszulassen und das Amt und mich für Ihren Frust bezahlen zu lassen. Allerdings würde ich Ihnen von einer solch blauäugigen Kündigung abraten, weil er schon längst ein neues Fickverhältnis hat– mit seiner neuen Sekretärin.«
» Was…?«
» Frau Wiedemann, ich wäre nicht in meinem Alter bereits Oberstaatsanwältin, wenn ich solche Dinge nicht wüsste«, stellte Inga Jäger emotionslos klar. » Und ich verrate Ihnen das mit seinem neuen Verhältnis nicht, um Ihnen wehzutun, und auch nicht, um Ihnen zu helfen, sondern aus rein egoistischen Gründen. Denn– wie ich schon sagte– ich würde es als äußerst mühselig empfinden, mir eine neue Sekretärin suchen zu müssen; also ist mir sehr daran gelegen, dass Sie sich wieder auf Ihren Job konzentrieren und all Ihr Knowhow und Ihre jahrelange Erfahrung in dieser Behörde einbringen und in meine Dienste stellen, damit ich meinen Job besser und reibungsloser erledigen kann. Nur dann werden wir gut zusammenarbeiten, und ich werde in dem Maße dafür sorgen, dass es Ihnen hier gut geht, wie Sie dafür sorgen, dass es mir gut geht. Haben wir uns verstanden?«
Rike Wiedemanns Augen waren feucht geworden, und ihre vor Gloss glänzende Unterlippe bebte ganz leicht. » Ich weiß immer noch nicht, worauf Sie eigentlich hinauswollen.«
Inga Jäger wusste, dass sie sie geknackt hatte und sie nur noch zögerte, ihr Vergehen offen einzugestehen, um nicht auch noch den letzten Rest ihres mit viel zu viel Make-up getünchten Gesichts zu verlieren. Das war in Ordnung für die Oberstaatsanwältin. Sie wollte die Frau nicht demütigen; sie hatte nur Grenzen stecken wollen und die Basis für eine offene und gute Zusammenarbeit legen.
» Sie kennen Kriminalhauptkommissar Gebert schon sehr lange«, stellte sie mehr fest, als dass sie es fragte.
Rike Wiedemann nickte.
» Also wussten Sie mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit im Vorfeld, wie er darauf reagieren würde, wenn ich, statt ihn selbst anzurufen, ihn durch Sie anweisen lasse, mit der Untersuchung des Fundortes der Leiche zu warten, bis ich eintreffe.« Inga Jäger hatte auch das nicht als Frage formuliert. » Ihnen war absolut bewusst, dass ich auf diese Weise mit voller Wucht vor versammelter Mannschaft frontal gegen die Mauer renne und mir eine blutige Nase hole.«
Rike Wiedemann spielte jetzt nervös mit den Spitzen ihrer Finger und blickte verschämt nach unten. Man musste kein Kinetik-Experte sein, um zu erkennen, dass das ein Schuldeingeständnis war.
Inga Jäger beschloss, den Schwitzkasten allmählich zu lockern. » Hier ist der Deal: Helfen Sie mir in Zukunft, solche Patzer zu vermeiden, und wir beide vergessen, dass dieses Gespräch jemals stattgefunden hat. Kann ich mich darauf verlassen?«
Die Sekretärin kramte ein Taschentuch aus der obersten Schublade ihres Schreibtisches und schnäuzte sich.
Inga Jäger wusste, dass sie noch einige Zeit brauchen würde, den Schock zu verdauen, dass der Mann, dem sie so viele Jahre treu in mehr als nur einer Hinsicht gedient hatte, sie eiskalt abgekanzelt und binnen kürzester Zeit durch eine Neue, gut zwanzig Jahre Jüngere ersetzt hatte. Also stand sie auf und schritt zur Tür ihres Büros.
Sie brauchte keine Antwort auf ihre letzte Frage. Sie wusste, entweder hätte sie binnen einer Stunde eine Kündigung auf dem Tisch, oder Rike Wiedemann würde sich von nun an den Arsch für sie aufreißen. Die letzte der beiden Möglichkeiten hielt sie für die wahrscheinlichere.
Noch ehe sie die Tür öffnen konnte, klingelte das Telefon.
Rike Wiedemann atmete hörbar tief ein und dann wieder aus, um sich zu beruhigen, und nahm dann das Gespräch mit gewohnt professioneller Stimme entgegen.
Inga Jäger wartete.
» Ja, einen kleinen Moment, bitte«, sagte Rike Wiedemann und drückte dann die Stumm-Taste ihres Apparats. » Es ist Frau Doktor Busch aus der Forensik.«
» Stellen Sie sie zu mir ins Büro«, sagte Inga Jäger und ging hinüber. Sie schloss
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