Ihr unschuldiges Herz: Kriminalroman (German Edition)
Organen. Was für ein heilloses Durcheinander.« Wie um das noch zu verdeutlichen, griff sie mit ihren behandschuhten Händen in die Bauchhöhle hinein und hob die einzelnen Organe nacheinander an. » Aber das Herz ist auf jeden Fall weg.«
Wieder kämpfte Inga Jäger mit aller Kraft gegen den starken Impuls an, sich übergeben zu müssen. Nie zuvor in ihrer Laufbahn hatte sie eine Leiche gesehen, die so übel zugerichtet war. Selbst die Wasserleichen, die in Hamburg aufgedunsen und von Fischen angefressen aus Elbe und Alster gefischt worden waren, sahen im Vergleich hierzu noch halbwegs harmlos aus– wenn man das so sagen konnte.
Gebert, dem sie die Mischung aus Angewidertsein und Mitleid vom Gesicht ablesen konnte, runzelte die haarlose Stirn, holte mit seinen Pranken und entsprechend umständlich aus der Innentasche seines dunkelgrauen Jacketts ein Handy hervor, das in seinen Fingern nicht viel größer wirkte als ein Feuerzeug, und drückte eine Kurzwahltaste. Die Intensität der Bewegung war die gleiche, mit der ein anderer eine Pistole abgefeuert hätte – als ließe sich mit der zusätzlichen Bewegung die Kugel beschleunigen … oder eben der Gesprächsaufbau eines Mobiltelefons.
» Otto«, sagte er nach wenigen Sekunden, und Inga Jäger wusste, dass das der Nachname seiner Assistentin war. » Sucht die Fundstelle der Leiche noch einmal genauer und in größerem Radius ab. Wir vermissen ein Herz.«
Kurze Pause.
» Ja, ein Herz, Otto«, sagte er, scheinbar grantig darüber, dass er sich wiederholen musste. » Vielleicht ist es vom Profil der durchdrehenden Reifen der Lesemaschine herausgerissen und weggeschleudert worden. Also wenn ihr es nicht direkt beim oder unter dem Vollernter findet, sucht in nordöstlicher Richtung.«
Eine weitere Pause. Dann schüttelte er unwirsch den Kopf. » Keine Ahnung, wie weit es geflogen sein kann. Sehe ich vielleicht aus wie ein Physiker?«
Inga Jäger musste trotz der traurigen Umstände ein leises Schmunzeln unterdrücken, während er das Gespräch beendete und das Handy wieder genauso umständlich wegsteckte, wie er es hervorgeholt hatte. Nein, wie ein Physiker sah Kriminalhauptkommissar Gebert ganz bestimmt nicht aus; eher wie eine Mischung aus Schlachtermeister und Stripclub-Rausschmeißer– mit einer gehörigen Prise waschechtem Rübezahl in den Genen.
» Aber auf jeden Fall können wir ausschließen, dass die Frau von dem Vollernter totgefahren wurde«, sagte Dr. Busch.
» Wieso?«, fragte Inga Jäger.
» Der Rigor Mortis, die Leichenstarre, wurde von dem Reifen zwar in den meisten Muskeln aufgebrochen, hat aber inzwischen wieder eingesetzt«, antwortete Dr. Busch.
» Das bedeutet?«
» Wäre der Tod erst durch das Überfahren heute Morgen eingetreten«, erklärte sie, » wäre es für das Einsetzen jetzt noch viel zu früh. Rigor Mortis beginnt erst nach zwei bis vier Stunden und auch erst in den kleinen Gelenken. Die ATP -Analyse wird letztendlich genaueren Aufschluss darüber geben, aber da die Starre bereits bis in die großen Gelenke fortgeschritten ist und anhand den Temperaturangaben vom Wetterdienst für vergangene Nacht können wir auch so schon schlussfolgern, dass der Tod fünf bis acht Stunden vor dem Überfahren eintrat.«
» Also ungefähr zwischen halb elf gestern Abend und halb zwei heute Morgen«, rechnete Inga Jäger schnell im Kopf.
Die Medizinerin nickte. » So in etwa. Wie gesagt, Genaueres weiß ich erst, sobald ich die Analyse habe.«
Und damit beugte sie sich wieder, jetzt bewaffnet mit Skalpell und Schere, über den schrecklich entstellten Leichnam. Inga Jäger las in ihrer Körperhaltung, dass sie für den Moment alles gesagt und nicht mehr Informationen für sie und Gebert hatte.
Gebert schien das ähnlich zu sehen. Er machte eine knappe Geste mit der Hand und sagte: » Gehen wir rüber zu den Kollegen der Spurensicherung. Vielleicht wissen die schon mehr.«
4
Forensisches Institut Wiesbaden. Spurensicherung.
Kriminalhauptkommissar Gebert führte Inga Jäger über den ebenfalls weiß gekachelten Flur hinweg hinüber in das Labor der Spurensicherung. Hier war es glücklicherweise um einige Grade wärmer, und es roch nicht mehr nach Leichen und ihren Ausdünstungen.
» Wenn ich vorstellen darf«, sagte er, » Oberstaatsanwältin Inga Jäger, das ist Elli Falkenstein, Leiterin der kriminaltechnischen Abteilung. Und ganz ohne zu übertreiben definitiv der brillanteste Kopf des ganzen Instituts.«
Nie würde Inga Jäger den
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