Ihr Wille Geschehe: Mitchell& Markbys Zehnter Fall
Ich sagte ihr, dass sie vorsichtig sein solle. Dann fiel mir dieses Foto auf. Sie hatte es zur Seite gelegt, als wollte sie es ebenfalls verbrennen und würde es bis zum Schluss aufsparen, vielleicht um einen letzten Blick darauf zu werfen, wissen Sie? Ich reichte ihr das Bild; ich wollte nur behilflich sein, und sie fuhr mich giftig an: ›Ich komme alleine zurecht, Janine, danke sehr!‹, und riss mir das Foto aus der Hand. Es segelte in die Flammen. Eine Schande, ehrlich, denn es war ein wirklich altes Bild. Es sah aus, als wäre es irgendwo auf dem Land aufgenommen worden, ein wenig wie unsere Gegend hier, jede Menge Bäume, ein Kirchturm dahinter wie die Kirche drüben, gegenüber von Rookery House. Sehr ähnlich sogar, ehrlich. Ich hätte sie gefragt, wenn sie nicht so gereizt gewesen wäre. Es ist nicht klug, jemanden noch weiter zu provozieren, der sowieso schon wütend ist, oder?«
»Keine Menschen auf dem Foto?«
»Nur ein Kind«, antwortete Janine.
»Ein kleines Mädchen, altmodisch angezogen mit einem Hut und so.« Sie begegnete Merediths Blick und hielt ihm stand.
»Ich kann Ihnen nicht mehr erzählen, tut mir Leid. Sie war eine merkwürdige alte Dame. Ich kam gut mit ihr zurecht. Aber man konnte sich nicht mit ihr anfreunden, wenn Sie verstehen, was ich meine?« Nur zu gut, dachte Meredith. Paul hatte völlig Recht gehabt. Olivia war eine altmodische Frau gewesen, und Janine war nur eine Dienstmagd. Man schwatzte nicht mit seinem Personal.
»Wirklich schade …«, sagte Meredith unaufmerksam, was ihr einen weiteren misstrauischen Blick von Janine einbrachte.
Wieder zurück im Cottage aßen Meredith und Alan die Überreste des Essens, das Paul und Laura am Vortag mitgebracht hatten.
»Du hast dich sehr gut geschlagen«, sagte Alan großzügig, wenngleich ohne rechte Begeisterung. Er kaute auf einer Käsestange.
»Das Foto ist ein ganz neuer Aspekt. Es muss der alten Dame eine Menge bedeutet haben, weil es anscheinend das Einzige war, das überlebt hatte, bis zu jenem Zeitpunkt zumindest, wenn man die Besessenheit bedenkt, mit der sie ständig ihre Vergangenheit entrümpelt hat.«
»Und doch hat der Brief von Lawrence sie genügend verängstigt, um es zu verbrennen.«
»Du meinst, er hat sie verängstigt? Nicht einfach nur wütend gemacht?« Meredith schüttelte den Kopf.
»Sie hatte eindeutig Angst. Natürlich kann ich nur raten, aber ich würde sagen, das alte Foto zeigte ihr Elternhaus und Olivia war das kleine Mädchen in altmodischen Kleidern, wie Janine es beschrieben hat, das darauf zu sehen war. Das ist der Grund, aus dem Olivia später Rookery House gekauft hat.«
»Wie das, Holmes?«
»Es sah ähnlich aus und hatte eine ähnliche Umgebung wie ihr Elternhaus. Janine hatte genügend Zeit, um dies zu bemerken, bevor Olivia ihr das Foto aus den Fingern riss. Sentimentale Beweggründe sind häufig stärker als klarer Menschenverstand. Leute behalten Dinge, die nur Plunder sind, die nicht mehr funktionieren, die nutzlos sind und ohne jeden finanziellen Wert – warum? Weil sie einen sentimentalen Wert besitzen. Olivia behielt dieses Foto, weil es die letzte Erinnerung an ihre Kindheit war, und doch veranlasste Lawrences Brief sie, es ins Feuer zu werfen. Sie hatte Angst, daran besteht in meinen Augen kein Zweifel.« Meredith nahm flink die letzte Käsestange, bevor Markby sie nehmen konnte.
»Selbst nach so vielen Jahren noch war der alte Lawrence eine Bedrohung für Olivia. Du musst ihn unbedingt treffen, Alan, und mit ihm reden.« Er seufzte zustimmend.
»Ich dachte, ich fahre heute Nachmittag zu Sir Basil rüber und unterhalte mich noch mal mit ihm. Vielleicht kann er einen Termin per Telefon vereinbaren, während ich dort bin. Kommst du mit?« Sie schüttelte den Kopf.
»Ich schätze, ich werde Wynne fragen, ob sie Kevin Berry besuchen will. Falls ja, gehe ich mit ihr.«
»Heute Nachmittag wohl kaum. Ich hab sie im Wagen wegfahren sehen, kurz bevor du von Stable Row zurückgekommen bist.« Meredith dachte nach.
»Trotzdem. Dann gehe ich Kevin eben allein besuchen. Er schien vollkommen am Boden zerstört, als wir beim letzten Mal dort waren. Ich habe keine Ahnung, was Amanda Crane deswegen unternimmt, falls sie überhaupt etwas unternimmt, aber Kevin braucht unbedingt jemanden, der sich um ihn kümmert und seine Interessen wahrt. Er könnte in diesem heruntergekommenen Cottage bleiben und verhungern, und niemand würde es bemerken!«
Das Cottage der Berrys sah keinen Deut
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