Ihr Wille Geschehe: Mitchell& Markbys Zehnter Fall
Die Zeitung wusste, dass ich diskret vorgehen würde. Ich warnte sie, dass es nicht einfach werden würde. Olivia war zwar keine ausgesprochene Einsiedlerin, doch sie lebte zurückgezogen und unterhielt keine Beziehungen mit anderen Dorfbewohnern. Sie war eben schon alt. Andererseits hat sie sich nie mit den Dorfbewohnern eingelassen, nicht einmal damals, als sie noch jünger und gerade erst hierher gezogen war.«
»Wann war das?«, fragte Markby resignierend in der Annahme, dass sie umso schneller würden entkommen können, je schneller Wynne mit ihrer Geschichte fertig war. Hoffentlich noch bevor sie dazu kam, ihm zu beichten, warum sie all das erzählt hatte und was sie von ihm wollte. Denn die nette alte Dame wollte etwas von ihm, das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Er sollte irgendetwas unternehmen, wahrscheinlich etwas Drastisches, und wer weiß, vielleicht sogar etwas Ungesetzliches.
»Das war 1975. Und das war auch der letzte Eintrag in ihrer Biografie. Eine Lücke von mehr als zwanzig Jahren, und ich sollte sie auffüllen.«
»Vielleicht hatte sie nach einem ereignisreichen Leben genug davon, an irgendetwas teilzunehmen. Vielleicht wollte sie einfach ihre Zeit in Ruhe verbringen und nichts tun.«
»Niemand will das wirklich«, entgegnete Wynne entschieden.
»Selbst wenn er es steif und fest behauptet. Das Alter ist schlimm genug, auch ohne Einsamkeit. Vergessen Sie nicht, sie war erst Anfang sechzig, als sie sich hier niederließ, und selbst damals schon lehnte sie jegliche Einladung höflich ab. Sie sprach nie selbst eine aus. Die Leute erinnern sich, dass sie zwar nicht mit irgendjemand Freundschaft schloss, doch sie ließ sich im Dorf sehen. Sie besaß ein Pony und einen zweirädrigen Einspänner, und sie fuhr damit herum, sodass jeder sie vom Sehen her ziemlich gut kannte. Sie grüßte die anderen Dorfbewohner und zeigte sich gelegentlich auch in der Kirche. Das Pony wurde irgendwann durch ein neues ersetzt. Ich glaube, am Ende hatte sie drei Stück – nicht alle auf einmal, sondern nacheinander.
Schließlich gab sie das Herumfahren in ihrem Einspänner auf, und das Pony erhielt früh sein Gnadenbrot. Nachdem sie nicht mehr herumfuhr, verließ sie ihr Grundstück nur noch selten. Das Pony stand auf der Koppel neben dem Haus. Rory Armitage, der Tierarzt, meldete sich von Zeit zu Zeit bei ihr und untersuchte das Tier. Das Gleiche gilt für Doc Burnett, den praktischen Arzt. Er kam von Zeit zu Zeit vorbei und untersuchte Olivia. Außerdem hatte sie eine Haushälterin, Janine Catto. Sie kam während der Wochentage und putzte und erledigte die Einkäufe. Ernie Berry, unser einheimischer Gelegenheitsarbeiter – er ist ein wirklich eigenartiger Bursche, der arme Kerl – hielt den Garten in Ordnung. Nichts Aufregendes; er hat den Rasen gemäht und Unkraut gejätet, diese Art von Arbeiten, und alles repariert, was kaputtging. Die größeren Sachen hat Max Crombie erledigt. Er ist der einheimische Bauunternehmer. Er hat eine Tochter, Julie, und für eine Weile stand das kleine Mädchen Olivia näher als jeder andere in den vergangenen Jahren. Näher, als sich irgendjemand erinnern kann. Julie ist verrückt nach Pferden.«
»Wie meine Nichte«, sagte Markby.
»Genau wie Emma, ja. Julie brachte ihren Vater dazu, sie mitzunehmen, als seine Firma das Dach von Rookery House neu deckte. Sie wollte das Pony aus der Nähe sehen. Sie kam mit Olivia ins Plaudern, auf die unverfängliche, arglose Weise von Kindern, und die alte Dame scheint sie auf Anhieb gemocht zu haben. Sie erlaubte Julie sogar, auf dem Pony über die Koppel zu reiten. Danach war Julie in jeder freien Minute bei Olivia. Der alten Dame schien es nichts auszumachen. Ich glaube, es gefiel ihr, das Kind zu unterrichten. Ich hab sie ein paar Mal zusammen gesehen. Olivia saß auf einem Stuhl unter dem alten Kastanienbaum auf der Koppel und erteilte Instruktionen, während Julie immer um sie herumritt. Es erinnerte mich an einen Maître de Ballet und seine Musterschülerin.« Wynne lächelte.
»Es war ein hübsches Pony, ein Apfelschimmel, genau wie das Tier in dem Kinderreim. Julie mit ihren langen blonden Haaren und dem Samthut trottete auf dem Pony über die Koppel; wie sie über Pfosten im Boden sprangen – es war ein bezaubernder Anblick! Manchmal sah ich Max dort. Er beobachtete seine Tochter voller Stolz. Sein kleines Mädchen, seine Augenweide und so weiter. Das Kind wurde immer besser, und es bedrängte seinen Vater, ihm ein
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