Ihr Wille Geschehe: Mitchell& Markbys Zehnter Fall
schwach und hilflos sein, aber irgendwie überlebt sie dennoch. Was ich damit sagen möchte ist Folgendes: Ganz gleich, wie brüchig und schlecht das Zuhause war, das Ernie dem jungen Kevin gab – es war ein Zuhause, und jetzt ist Kevin alleine dort. Er ist kein besonders heller Junge. Ernie musste ihm immer sagen, was er zu tun hatte. Kevin hat nie eine eigene Entscheidung treffen müssen.« Alan hatte die ganze Zeit über leise im Hintergrund telefoniert. Jetzt vernahmen die beiden Frauen, wie er den Hörer behutsam auf die Gabel legte. Einen Augenblick später kam er ins Wohnzimmer zurück. Er sah zum einen Teil erleichtert, zum anderen verlegen aus.
»Das war es dann wohl, ich bin raus aus der Angelegenheit. Meine Erkundigungen in Parsloe St. John sind sofort einzustellen, damit ich der Mordkommission bei ihren Ermittlungen nicht in die Quere komme – oder irgendwelche Zeugen verwirre. Tut mir Leid, Wynne.« Er lächelte sie entschuldigend an.
»Keine Sorge, Alan, das ist schon in Ordnung. Ich möchte Ihnen trotzdem danken. Sie haben einen Anfang gemacht, und wenn man Sie hätte weitermachen lassen, hätten Sie ganz bestimmt etwas herausgefunden.« Wynne blickte ihn nachdenklich an.
»Sie haben nicht rein zufällig bereits irgendeine Spur?« Er schüttelte den Kopf.
»Tut mir Leid, nein. Das kann ich beim besten Willen nicht behaupten.«
»Nun gut, daran lässt sich nichts ändern.« Wynne erhob sich von ihrem Platz und zupfte ihren Pullover glatt.
»Ich gehe jetzt besser nach Hause, bevor dieser Inspector Crane eintrifft. Denken Sie daran, ich bin direkt nebenan, also falls Sie etwas brauchen …« Sie dankten ihr, und Wynne ging nach draußen. Sie sah immer noch ganz untröstlich aus.
»Die Ärmste«, sagte Meredith.
»Du hast wirklich nichts gefunden, oder? Keine Spuren?«
»Was? Nein. Nein. Es sei denn, es gibt eine Verbindung zu ihrem Testament, wie du gesagt hast. Sie war eine reiche Person und hatte keine Familie. Irgendjemand hat möglicherweise geglaubt … Andererseits ist es kein Grund, nicht faules Spiel zu vermuten, nur weil sie denen etwas vermacht hat, die sich um sie gekümmert haben. Sie hat Armitage, Burnett und Crombie Geld hinterlassen, beziehungsweise Crombies Tochter. Wie es aussieht, hat Crombie nichts mit der Geschichte zu tun, und Armitage würde ich ebenfalls ausklammern. Burnetts Haus sieht allerdings aus, als wäre der Besitzer völlig pleite, doch der Eindruck kann auch täuschen. Wenn du das nächste Mal mit Wynne plauderst, könntest du dich vielleicht nebenbei erkundigen, ob Burnett schon einmal verheiratet war.« Draußen ertönte das Geräusch eines herannahenden Wagens. Der Motor wurde abgestellt, jemand stieg aus, und dann klopfte es energisch an der Tür.
»Und das dürfte unser guter Inspector Crane sein«, sagte Markby und erhob sich aus dem Sessel, um zu öffnen.
»Mach dich bereit.« Er ging nach draußen, und Meredith bereitete sich innerlich darauf vor, die Geschichte ihrer makabren Entdeckung aufs Neue zu erzählen. Im Flur erklangen Schritte und Alans Stimme, der eine hohe Frauenstimme antwortete – doch wohl nicht Wynne? Sie war eben erst gegangen. Die Tür öffnete sich, und Alan trat ein. Er räusperte sich.
»Meredith, das hier ist Inspector Crane. Sie leitet die Ermittlungen.« Eine große Rothaarige, modisch in einen dunklen Geschäftsanzug mit weißer Bluse und hochhackigen Schuhen gekleidet, betrat das Zimmer und stellte einen Aktenkoffer ab.
»Miss Mitchell? Ich bin Amanda Crane. Wie geht es Ihnen?« Sie streckte Meredith die Hand entgegen. Nach unmerklichem Zögern schlug Meredith ein und bot ihr einen Platz an. Inspector Crane öffnete ihren Aktenkoffer, nahm einen dünnen Hefter hervor, klappte den Koffer wieder zu, schlug die Beine übereinander, lächelte und sagte mit ermunternder Stimme:
»Fangen wir an, Miss Mitchell?« Markby saß diskret im hinteren Teil des Zimmers. Er lehnte sich in seinem Ohrensessel außerhalb des Lichtkreises der kleinen Stehlampe zurück und beobachtete die Inspektorin. Das gelbe Licht betonte ihre roten Haare, die von Expertenhand geschnitten waren. Sie repräsentierte ohne Zweifel die zukünftige Generation von hellen, scharfen Köpfen, wenngleich sich Markby fragte, wie die Polizei es fertig bringen sollte, so eine dynamische junge Frau lange bei der Stange zu halten. Alles schön und gut, den Einstieg in die gehobene Laufbahn anzubieten und schnelle Beförderung zu versprechen – Markby vermutete, dass sie
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