Ihr Wille Geschehe: Mitchell& Markbys Zehnter Fall
eine junge Akademikerin war –, doch ein großer Teil der Polizeiarbeit war von Grund auf langwierig, sich wiederholend, frustrierend und sterbenslangweilig. Im Verlauf der Jahre hatte die Polizei leider eine Menge Beamte eingestellt, die genau die gleichen Qualitäten besaßen. Nicht alle, Gott sei Dank – doch das war ein Grund mehr, warum Leute wie Crane dringend benötigt wurden. Abgesehen von ihren intellektuellen Fähigkeiten war sie keine junge Schönheit im klassischen Sinn, doch sie war äußerst attraktiv. Das leuchtende Rot ihrer Haare fiel über vorstehende Wangenknochen, und sie streifte es zur Seite, wenn sie den Kopf über ihre Notizen beugte. Markby konnte sich sehr gut vorstellen, welchen Aufruhr sie in der Kantine verursachte. Trotz gewaltiger Anstrengungen im Verlauf der letzten Jahre, die derbe Männerkultur zu bekämpfen, die auf einer durchschnittlichen Polizeiwache herrschte, ließen sich alte Angewohnheiten nicht so leicht aus der Welt schaffen. Und da sie der grundlegendsten menschlichen Natur entsprachen, würde man sie kaum jemals ganz ausrotten können. Markby wagte nicht, sich vorzustellen, welche Bemerkungen und versteckten Andeutungen hinter Inspector Cranes Rücken fielen. Sie sah nicht aus wie die Sorte Frau, die offene Anspielungen von Angesicht zu Angesicht tolerierte. Markby vermutete, dass sie nur wenige Freunde bei der Polizei hatte, was seiner Meinung nach erst recht eine Schande war. Draußen war es noch nicht ganz dunkel, doch das wenige Tageslicht im Haus war grau und düster. Deswegen hatte Markby die Deckenbeleuchtung sowie eine weitere kleine Tischleuchte eingeschaltet.
»Wie geht es uns denn nun, nach diesem hässlichen Schock?« Der mütterlich besorgte Tonfall war in Merediths Fall völlig fehl am Platz, dachte Markby. Er funktionierte bei vielen Zeugen, aber nicht bei ihr. Er konnte sehen, wie sie ärgerlich wurde und im Geiste die Ärmel hochkrempelte und sich kampfbereit machte.
»Es geht mir besser als vorhin. Der erste Schock lässt nach.« Lass es gut sein damit, flehte Markby innerlich. Doch sein Gebet blieb unerhört.
»Ich könnte Sie an einen Therapeuten verweisen, wenn Sie das möchten«, fuhr Crane im gleichen mütterlichen Tonfall fort.
»Nein, ganz bestimmt nicht!«, fauchte Meredith.
»Danke für das Angebot.«
»Nun, überlegen Sie es sich und geben Sie mir Bescheid, falls Sie Ihre Meinung ändern. Ich habe hier Ihre Aussage«, fuhr die Crane im gleichen Tonfall fort.
»Die Aussage, die Sie noch am Tatort zu Protokoll gegeben haben.«
»Ich habe dem nicht viel hinzuzufügen«, entgegnete Meredith.
»Gehen wir doch einfach noch einmal alles der Reihe nach durch, ja? Fühlen Sie sich dazu imstande?«, erkundigte sich Crane freundlich. Markby saß in seiner dunklen Ecke und stellte sich vor – oder hoffte zumindest, dass er es sich nur vorstellte –, wie Meredith innerlich kochte. Er wurde allmählich unruhig. Seine große Liebe saß kerzengerade auf dem Sofa, die Arme vor der Brust verschränkt, und funkelte die junge Inspektorin an. Wenigstens bringt es sie auf andere Gedanken, versuchte er, der Situation etwas Gutes abzugewinnen. Vielleicht war Cranes Methode doch nicht so katastrophal, wie er gedacht hatte, auch wenn Crane damit mehr unverschämtes Glück als Menschenverstand bewiesen hatte.
»Was hat Sie auf diese Wiese geführt?«, fragte Inspector Crane und blickte Meredith freundlichinteressiert an.
»Koppel«, sagte Meredith mürrisch.
»Nicht Wiese, sondern Koppel. Ein Pony liegt dort begraben. Ich wollte mir die Stelle ansehen. Ich fand die Geschichte sehr bewegend.« Inspector Crane begegnete Merediths verdrießlicher Art mit professioneller Freundlichkeit und lächelte sie an.
»Das war der Grund, warum Sie im Garten von Rookery House herumspaziert sind?« Geschickte Art und Weise, dachte Markby, Meredith danach zu fragen, warum Sie unbefugt ein fremdes Grundstück betreten hat. Vielleicht hatte Inspector Crane ja auch einfach nur Gefallen daran, sich auf gefährlichen Boden zu begeben. Mit blitzenden Augen antwortete Meredith:
»Wir hatten das Haus bereits besichtigt, weil wir es vielleicht kaufen wollten. Man hat uns gesagt, dass es zum Verkauf stünde, und Sie haben sicherlich das Schild des Immobilienmaklers neben dem Tor gesehen. Die ehemalige Haushälterin der verstorbenen Besitzerin hat den Schlüssel, und sie hat uns die Räumlichkeiten gezeigt. Alan war nebenan, um jemand anders zu besuchen, und ich beschloss einfach,
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