Ikone der Freiheit - Aung San Suu Kyi
demonstriert hätte.
Der 63-jährige NLD -Aktivist Ko Chit San befand sich ebenfalls unter den Verletzten. Er war noch vor Ort, als eine Stunde nach dem Massaker ungefähr 80 Polizisten mit Schlagstöcken und Schilden auftauchten:
»Zwei Offiziere stiegen aus dem Wagen und kontrollierten diese Todeszone. Ich sah, wie die Polizisten im Schutz der Dunkelheit die Toten und Verletzten auf die Ladeflächen der Lastwagen warfen, als handelte es sich bei ihnen um Müll, der von der Straße geräumt werden musste. […] Zwei der noch übrig gebliebenen Wagen wurden in ein Reisfeld bugsiert und so arrangiert, als hätten sie sich überschlagen. Zwei andere Autos wurden so hingestellt, dass es nach einem Unfall aussah. Dann schossen die Polizisten ihre Beweisfotos. Daraufhin verließ ich den Ort, um mich für die Nacht irgendwo zu verstecken.«
Einige Tage fürchtete man, dass Aung San Suu Kyi gestorben oder schwer verletzt worden war. Niemand wusste, wo sie sich befand. Die staatlichen Medien erfanden eine phantastische Geschichte, laut der es ein internationales Komplott gegen sie gegeben habe und dass sie deshalb vor ein paar nach Burma entsandten Auftragsmördern geschützt werden musste. »Wir wissen nicht, auf wen es die Mörder abgesehen haben, aber wir wissen, dass man uns die Schuld geben wird, wenn ihr etwas passiert«, sagte Außenminister Win Aung. Gleichzeitig schrieb Juntaführer Than Shwe einen Brief an seine Kollegen bei der ASEAN und behauptete darin, dass die NLD rechtzeitig zu Aung San Suu Kyis Geburtstag am 19. Juni das Land in Anarchie stürzen wolle. Der Brief war als Vorwand gedacht, um die nun wieder einsetzende Unterdrückung der Demokratiebewegung zu rechtfertigen. Innerhalb weniger Tage ließ die Junta alle Büros der NLD schließen und machte deutlich, dass man keine politischen Massenveranstaltungen tolerieren werde. In Burma gibt es ein Gesetz, das ohne Zustimmung der Behörden die Zusammenkunft von mehr als fünf Personen an einem Ort verbietet. Das aus der britischen Kolonialzeit stammende Gesetz war im Laufe der Jahre häufig angewendet worden, wurde jedoch in Perioden größerer politischer Offenheit von der Polizei nicht so streng befolgt. Nun wurde es wieder ohne Ausnahme angewendet.
Die Junta weigerte sich zunächst, den Aufenthaltsort von Suu Kyi bekanntzugeben. Es ging das Gerücht, dass sie tot wäre und die Junta sich weigerte, die Wahrheit zu sagen, weil sie die Rache des Volkes fürchtete. Doch nach einigen Wochen stellte sich heraus, dass man sie ins Insein-Gefängnis gebracht hatte. Dort blieb sie bis September, musste dann aber freigelassen werden, weil sie krank wurde und sich einer gynäkologischen Operation unterziehen musste. Nachdem sie aus dem Krankenhaus entlassen wurde, brachte man sie zurück nach Hause in die University Avenue – der dritte Hausarrest war verhängt worden.
Die Schlinge hatte sich wieder zugezogen. Dieses Mal sollte es über vier Jahre dauern, bis die Bevölkerung in Burma Aung San Suu Kyi wieder zu Gesicht bekam.
14.
Die Safran-Revolution
Ein schwarz lackierter DeSoto aus dem Jahr 1947 holte mich vor dem Hotel ab. Der Wagen war in einem makellosen Zustand, mit blitzenden Chromverzierungen am Armaturenbrett.
»Der Wagen gehört meinem Vater«, erzählte der Fahrer, ein junger Mann, der dem Aussehen nach zu urteilen in jede Reggae-Band gepasst hätte. »Er hat sich immer um den Wagen gekümmert, so als wäre er ein Kind. In erster Linie, um sich keinen neuen kaufen zu müssen. Denn das hätten wir uns niemals leisten können.«
Im Januar 2010 reiste ich durch Burma, um einige von Aung San Suu Kyis Mitarbeitern zu interviewen. Die Dunkelheit setzte ein, während wir langsam durch Straßen und Gassen fuhren. Überall war der Duft von Räucherstäbchen und den würzigen Speisen der Straßenstände zu riechen. Rangun war voller fliegender Händler. Die Leute saßen auf Decken oder einfachen Matten und verkauften alles – von getrocknetem Fleisch bis zu zwei Monate alten Ausgaben der
Times
oder des
New Statesman
.
Überall wimmelte es von Menschen. Kinder, die spielten oder an den Straßenständen ihrer Eltern mithalfen, 80-jährige Frauen mit zwei oder drei übrig gebliebenen Zähnen, die vom Betelsaft rot gefärbt waren.
Das Zentrum von Rangun hat sich seit den 1950er Jahren nicht wesentlich verändert. Das Hafenviertel besteht aus langen, schmalen Straßen, gesäumt von weißen, blauen oder türkisfarbenen dreistöckigen Häusern, die direkt aus
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