Ikone der Freiheit - Aung San Suu Kyi
einer Gruppe von Jugendlichen zu unterhalten. Vielerorts auf der Rundfahrt war es ähnlich verlaufen; das Interesse an Suu Kyi und der NLD war so groß, dass praktisch überall eine lokale Parteivertretung eröffnet werden konnte. Einzig an Zeit herrschte Mangel.
Um halb neun am Abend befand sich die Wagenkolonne nur noch wenige Kilometer vor Depayin, wo alle übernachten sollten. Es war bereits dunkel. Die knapp zwei Meter breite Straße, vom Regen aufgeweicht, führte nordwärts. Als sie die kleine Ortschaft Kyee passierten, wurden sie von Tausenden von Menschen begrüßt, die alle gekommen waren, um einen Blick auf Suu Kyi werfen zu können. An einem weißen Steinpfosten, der die Grenze der Ortschaft markierte, wurde die Kolonne von zwei Mönchen aufgehalten, die sich mitten auf die Straße gestellt hatten. Einer der Leibwächter sprang aus dem Wagen, um herauszufinden, was sie wollten.
»Wir haben lange auf Daw Aung San Suu Kyi gewartet und würden sie gern reden hören«, sagte einer der Mönche. Der Leibwächter erklärte, dass sie keine Zeit hätten, in Kyee anzuhalten, da sie in Depayin erwartet würden.
Genau in diesem Augenblick tauchten hinter der Karawane vier kleine Lastwagen auf. Auf den Ladeflächen standen Söldner der USDA und riefen Parolen. »Sie wird von ausländischen Kräften manipuliert! Wir wollen hier keine Leute mit negativen Ansichten!«
Die Menschen am Straßenrand erwiderten die Rufe: »Und wir wollen euch hier nicht!«
Dies reichte als Provokation aus. Die Männer sprangen von den Lastwagen und begannen, mit spitzen Eisenstangen und Bambusknüppeln wild um sich zu schlagen. Einer der Lastwagen fuhr direkt in die Menschenmenge. Panik brach aus, die Menschen rannten wild durcheinander. Die Söldner bahnten sich einen Weg durch die Masse und wollten zu Suu Kyis Wagen. Gleichzeitig kamen ungefähr 3 000 weitere USDA-Anhänger herbeigeeilt. Alle begriffen, dass es sich nicht um eine der üblichen USDA-Provokationen handelte. Alles war perfekt inszeniert. Es gab so viele Angreifer, dass niemand entkommen konnte.
Wunna Maung hatte in einem der Wagen der NLD -Kolonne gesessen und das Blutbad aus nächster Nähe mitansehen müssen:
»Nachdem sie den Frauen die Blusen und Sarongs vom Leib gerissen hatten, schlugen sie auf sie ein«, berichtete er. »Als ihre Opfer blutüberströmt zu Boden sanken, sah ich, wie die Angreifer auf sie sprangen und ihre Haare packten, um dann ihre Köpfe mit aller Kraft auf den Boden zu rammen.«
Während sich der schmutzige Asphalt rot färbte, riefen die Angreifer, dass die Frauen »Rassenschande« betrieben und sich mit
kala
(ein burmesischer Ausdruck, der abwertend auf Inder und westliche Ausländer gemünzt ist) verheiraten wollten. Der 15-jährige U Khin Saw war ein weiterer Zeuge:
»Ich sah, dass Menschen brutal misshandelt wurden. Ich hörte, wie sterbende Menschen vor Schmerzen wimmerten, vor Angst schrien und nach Hilfe riefen […] es war, als würde die Hölle überkochen. Ich sah, wie die Angreifer mit aller Kraft auf Menschen einschlugen und sie mit spitzen Eisenstangen traktierten […] Sie schlugen so lange auf ihre Opfer ein, bis sie nicht mehr lebten.«
Die NLD -Jugend, die meisten davon Studenten in den Zwanzigern, bildeten einen Ring um Aung San Suu Kyi, um sie zu schützen. Aber die Angreifer waren in der Überzahl. Viele Studenten wurden schwer verletzt. Der Fotograf Tin Maung Oo und der junge Ko Thin Toe starben augenblicklich an ihren Kopfverletzungen. Als die Angreifer den Wagen erreichten, schlugen sie auf Fenster, Türen und das Dach ein. Suu Kyis Fahrer begriff den Ernst der Lage, trat das Gaspedal durch und lenkte den Wagen aus dem Chaos hinaus. Nach ein paar Kilometern wurden sie von Agenten des Sicherheitsdienstes angehalten, die Aung San Suu Kyi aus dem Wagen zerrten und wegführten. U Tin Oo, der im letzten Wagen der Kolonne saß, bekam einen Schlag auf den Kopf und wurde von USDA-Kräften mitgenommen.
Zwar gibt es keine Beweise, aber einiges spricht dafür, dass die Agenten des Sicherheitsdienstes von Khin Nyunt ausgesandt waren, um Aung San Suu Kyi vor dem Massaker zu schützen. In Depayin starben ungefähr 70 Menschen, doch laut den von der Junta kontrollierten Medien belief sich die Zahl der Todesopfer auf lediglich zwei. Außerdem behaupteten sie, dass der Gewaltausbruch stattgefunden hätte, weil Aung San Suu Kyis Wagenkolonne direkt in eine Gruppe »friedlicher Regierungsanhänger« gerast sei, die am Straßenrand
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