Ikone der Freiheit - Aung San Suu Kyi
über die letzten Details eines Abkommens, das Burma die Souveränität geben sollte, zu einigen. Auf dem Weg nach England verweilte Aung San einige Tage in Neu-Delhi und wohnte bei Premierminister Nehru. Wie üblich hatte Aung San keinerlei Wert auf angemessene Kleidung gelegt und trug dieselbe abgetragene Uniform wie bei der Invasion vier Jahre zuvor. Nehru lachte, als er seinen burmesischen Kollegen empfing und versuchte, ihn davon zu überzeugen, dass eine japanische Uniform nicht gerade die beste Ausstattung für einen offiziellen Besuch in der Downing Street Nr. 10 sei. Nehru schickte nach einem Schneider, der einen dreiteiligen Anzug für Aung San anfertigte. Diesen trägt er auf allen Bildern, die von dem Besuch in London erhalten sind.
In Neu-Delhi hielt Aung San eine Pressekonferenz ab, auf der er erläuterte, welche Forderungen die burmesische Delegation an die Regierung in London stellen würde. Völlige Souveränität, sagte Aung San. Keine britische Dominanz in einem vage zusammengesetzten Commonwealth. Außerdem warnte er vor der Gefahr eines neuen bewaffneten Aufstands. Für den Fall, dass die Gespräche mit Attlee scheitern würden, hatte die AFPFL vor Abreise der Delegation die PVO bereits in höchste Alarmbereitschaft versetzt.
Doch Aung San und Attlee einigten sich auf einen Kompromiss. Noch im Januar wurde ein Abkommen unterzeichnet, dass die Souveränität Burmas innerhalb von einem Jahr vorsah. Im April sollten demokratische Wahlen durchgeführt werden, und die erste Aufgabe des neugewählten Parlaments sollte darin bestehen, eine neue Verfassung zu erarbeiten, die auf demokratischen und föderalen Prinzipien beruhte. Die Betonung des föderalen Aspekts zielte insbesondere darauf ab, den ethnischen Minderheiten großen Einfluss in den jeweiligen Teilstaaten sowie eine festgelegte Anzahl an Plätzen in Parlament und Regierung zu garantieren. Die AFPFL sollte unter britischer Oberaufsicht eine Übergangsregierung bilden.
Das Abkommen verstärkte die Spaltung der nationalistischen Bewegung aufs Neue. U Saw war zwar Mitglied der Delegation, weigerte sich jedoch, das Dokument zu unterschreiben. Unmittelbar nach seiner Rückkehr gründeten er und Ba Maw eine eigene, rechtsgerichtete Partei und warfen Aung San vor, sich für das Erlangen persönlicher Macht an die Imperialisten verkauft zu haben.
Aung San hatte wenig Zeit, sich wegen solcher Anklagen den Kopf zu zerbrechen. Sie waren absehbar gewesen. Ohnehin hatte er stets damit gerechnet, dass U Saw und Ba Maw ihr eigenes Süppchen kochen würden, sobald die Souveränität ein Faktum wäre. Sofort nach seiner Rückkehr fuhr er weiter in die kleine Stadt Panglong im Shan-Staat. Dort waren Vertreter der ethnischen Minderheiten zusammengekommen, um darüber zu entscheiden, ob innerhalb der Grenzen, die Burma heute definieren, ein Staat entstehen würde oder ob die Forderung nach totaler Unabhängigkeit aufrechterhalten werden sollte. Im Prinzip gab es keine Hinderungsgründe für letztere Alternative. Wirtschaftlich betrachtet waren die Teilstaaten natürlich unterentwickelt – aber dies galt für die meisten asiatischen Staaten nach dem Krieg. Auch in administrativer Hinsicht gab es große Schwierigkeiten. Viele der Teilstaaten waren in nur wenigen Jahrzehnten von lokalen Stammesgesellschaften zu Teilstaaten des britischen Imperiums geworden. Aber auch dies unterschied sie nicht von vielen anderen Ländern, die kolonisiert worden waren und nun eigene gesellschaftliche Strukturen aufbauen mussten. In geographischer sowie demographischer Hinsicht hatten sie sich indes zweifellos qualifiziert. Der Kachin-Staat im Norden Burmas ist ungefähr so groß wie Österreich. Der Shan-Staat hat heute eine Bevölkerung von circa vier Millionen und ist größer als die meisten europäischen Länder.
Am stärksten beharrten die Karenni auf ihren Forderungen nach Souveränität. Sie hatten der Kolonialmacht viel näher gestanden und waren davon ausgegangen, dass die Briten ihnen einen eigenen Staat garantiert hatten. Am 11. September 1946 hatte einer der lokalen Karenni-Anführer eine Regierung für die »Vereinten Karenni-Staaten« ernannt. Andere Karenni-Vertreter hatten ihre Waffenarsenale aufgefüllt. Für die Erlangung der Souveränität waren sie nötigenfalls auch zu einem Krieg bereit.
Ebenso explosiv war die Entwicklung im Arakan-Staat im Westen Burmas. Dort hatte der buddhistische Mönch U Sein Da eine Guerillaarmee um sich versammelt, um das alte
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