Ikone der Freiheit - Aung San Suu Kyi
dasselbe Vertrauensverhältnis zu den ethnischen Minderheiten und – vielleicht am wichtigsten – nicht dieselbe Unterstützung in der Armee. Aung San galt als Gründer der Armee. Nachdem er nicht mehr da war, gab es niemanden, der die destruktive Kraft der bewaffneten Kräfte kontrollieren konnte oder wollte.
6.
Die Wahlkampagne
Aung San Suu Kyi wird manchmal vorgeworfen, sie sei besessen von ihrem Vater. Implizit meinen ihre Kritiker damit, dass sie ihre Stellung als Oppositionsführerin nicht aus eigener Kraft errungen habe, sondern dass diese allein auf Aung Sans Status als Nationalheld beruhe. Dieser Vorwurf entspricht natürlich insofern der Wahrheit, als Aung San Suu Kyi schnell bekannt wurde und eine politische Position erhielt, weil sie seine Tochter ist. Ohne diese verwandtschaftliche Beziehung hätte sie ihre Rede vor der Shwedagon-Pagode 1988 nicht halten können und wäre auch nicht zu einem Symbol der Demokratiebewegung geworden.
Ebenso ist richtig, dass ein bedeutender Teil ihrer Texte und Reden um ihren Vater kreist. Bereits vor ihrer Rückkehr nach Burma im Jahr 1988 hatte sie
Aung San of Burma
veröffentlicht, ein episodenhaft angelegtes Buch, in dem sie seine Vorzüge ausgiebig schildert und leichthin über seine Mängel und Fehlentscheidungen hinweggeht. Nur kurz erwähnt sie die Mordanklage gegen ihn und lässt seinen Flirt mit den totalitären Ideologien der 1930er Jahre völlig unerwähnt. Sogar Peter Carey, ein Freund aus Oxford, sagt, dass sie »die unkritische und bewundernde Einstellung einer Tochter zu ihrem Vater« habe.
Aber besessen? Sie selbst weist diese Behauptung stets zurück:
»Ich denke nicht jeden Tag an meinen Vater. Ich bin nicht besessen von meinem Vater, so wie einige vielleicht glauben mögen. Ich gebe gern zu, dass meine Einstellung zu ihm auf gesundem Respekt und Bewunderung beruht, aber nicht auf Besessenheit«, sagte sie Mitte der 1990er Jahre.
Im Grunde genommen geht es bei dem Vorwurf der Besessenheit natürlich um etwas anderes. Die Junta hatte stets das Interesse, Aung San Suu Kyi zu diskreditieren, und versucht daher, den Eindruck zu vermitteln, dass sie gar nicht so viel zu bieten hat und lediglich eine Nostalgikerin ist, die die Größe ihres Vaters ausnutzt und von ihr zehrt.
Interessant wird der Vorwurf vor allem dann, wenn man bedenkt, dass so gut wie alle in Burma Aung San als Helden betrachten. Sowohl das Militär als auch die Demokratiebewegung, sowohl die politische Elite des Landes als auch die Menschen auf der Straße. Sein Bild hängt überall, in den Teehäusern, in den Offiziersquartieren und im Büro der NLD . Straßen, Märkte, ja ganze Stadtviertel sind nach ihm benannt. In den letzten Jahren war die Junta allerdings immer weniger geneigt, ihn als Vorbild zu präsentieren, weil sie genau wusste, dass die Menschen immer an Aung San Suu Kyi denken, wenn sie das Bild ihres Vaters sehen.
Aung San Suu Kyis vermeintliche Besessenheit unterscheidet sich demnach nicht von der des durchschnittlichen Burmesen. Vielmehr handelt es sich hier um einen Kampf um die Geschichtsschreibung. Schon seit Ne Wins Machtübernahme im Jahr 1962 hat die Propaganda der Junta eine fortschreitende Linie vom Nationalhelden Aung San bis hin zur Diktatur gezeichnet. Die Militärregierung resultiert demnach aus der Tatsache, dass Aung San die Armee gründete und dass die Armee das Land von der Kolonialmacht befreite. Ohne ausgesprochen zu werden, sollte dies den Generälen also die Deutungshoheit sowie das ewige Recht zur Führung des Landes garantieren.
Indem Aung San Suu Kyi ihren Vater hervorhebt und auf ihre eigene Verbindung zur Befreiung Burmas verweist, hat sie dem Militär dessen Argumentationsweise jedoch aus der Hand geschlagen. Sie hat die von der Junta gezeichnete Linie durchschnitten und gezeigt, dass die praktizierte Unterdrückung keineswegs eine natürliche Folge des Staates ist, den Aung San in den 1940er Jahren skizzierte. Indem sie die Proteste des Volkes im Jahr 1988 als »den zweiten Kampf für die Souveränität« bezeichnete, verknüpfte sie stattdessen die Opposition und die Demokratiebewegung mit dem Befreiungskampf. In dieser Hinsicht war ihr Auftritt an der Shwedagon-Pagode der Startpunkt für eine revidierte Bewertung des Erbes Aung Sans sowie des antikolonialen Kampfes.
Die Rede im Jahr 1988 war darüber hinaus auch der Beginn für eine intensive Wahlkampfarbeit. Nur wenige Wochen nach der Machtübernahme durch Saw Maung und die neue Junta
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