Ikone der Freiheit - Aung San Suu Kyi
Internat in London befand. Er und Suu Kyi fungierten als Gastgeber bei Empfängen in der Botschafterresidenz. Doch schon zu diesem Zeitpunkt zeigte sich, dass sich die beiden nicht sonderlich gut verstanden. Aung San Suu Kyi wollte den Erwartungen ihrer Mutter, vielleicht auch denen ihres Vaters, gerecht werden. Sie benahm sich stets korrekt, hatte eine vorzügliche Aussprache und eignete sich nach und nach die richtige Ausbildung an, um die Arbeit fortzusetzen, die ihre Eltern begonnen hatten. Aung San Oo hingegen war weniger interessiert an seinem sozialen Erbe. Er war bereits dabei, sich eine eher westliche Lebensweise anzueignen und hatte keine Pläne, nach Burma zurückzukehren.
Nach einer gewissen Zeit besuchte Aung San Suu Kyi das Lady Shri Ram College. Die Schule war 1956 von Sir Shri Ram, einem indischen Industriellen, zum Gedenken an seine verstorbene Frau gegründet worden. Er wollte eine Institution für die höhere Ausbildung von Frauen schaffen und der Schule außerdem eine internationale Prägung verleihen. Auf der Homepage des Lady Shri Ram Colleges steht im Jahr 2010, dass die Schule »Frauen erziehen und ausbilden will, die bereit sind, Weltbürgerinnen zu werden. Frauen, die stolz auf ihre Kultur und ihr Erbe sind, aber auch ein kosmopolitisches Verständnis für die heutige Welt und eine Empfänglichkeit für deren Vielfalt besitzen.«
Eine vielleicht etwas hochtrabende Formulierung, die jedoch auch als Personenbeschreibung für Aung San Suu Kyi gelten könnte.
Zu jener Zeit lag die Schule im Daryanganj-Viertel im Zentrum Neu-Delhis. Das Hauptgebäude bestand aus grauweißem Stein und war im Kolonialstil erbaut, mit hohen Kreuzgängen und grünen Büschen neben der Eingangstür. Suu Kyi studierte Politikwissenschaft. Auf der Literaturliste standen Bücher über politische Philosophie, darunter auch Gandhis Gedankengut – eben jenes Rezept für politischen Widerstand, das sie seit der Führungsübernahme der burmesischen Demokratiebewegung so konsequent angewendet hat. »Ich glaube, dass sie ihre Kenntnisse über Gandhi erst später vertiefte, als sie in Rangun unter Hausarrest stand«, sagt Malavika Karlekar, »aber es ist durchaus denkbar, dass sie den ersten Kontakt mit den Theorien über zivilen Ungehorsam während ihrer Zeit am College hatte. Doch was sie von ihrer Zeit in Indien mitnahm, war vor allem ein weitverzweigtes Netzwerk aus Freunden, mit denen sie bis Ende der 1980er Jahre Kontakt hielt.« Nach Aussage Malavika Karlekars hatte Suu Kyi während ihrer Zeit auf dem Lady Shri Ram College niemals irgendwelche deutlich ausgeprägten politischen Ansichten geäußert. Doch es war offenkundig, dass ihre Gedanken und Reflexionen die ganze Zeit um Politik kreisten. »Als Tochter ihres Vaters gewann sie natürlich im Laufe der Zeit bestimmte Ansichten. Über ihre Standpunkte sprach sie nie, aber es war deutlich, dass sie welche hatte.«
Politisch aktiv war sie hingegen nicht. »Ich erinnere mich nur daran, dass wir eine Kampagne starteten, um zu erreichen, dass die Schultüren am Abend länger geöffnet blieben«, sagt Karlekar, die später zu einer geachteten Soziologin und zur Leiterin des Centre for Women’s Development Studies wurde. »Wir gewannen diesen Kampf, aber ich entsinne mich nicht, dass wir irgendetwas anderes Politisches unternommen hätten.«
Khin Kyi war zur Botschafterin ernannt worden, noch während Ne Win als Premierminister regierte. Obwohl sie der Entwicklung in ihrem Heimatland äußerst kritisch gegenüberstand, entschied sie sich, auch nach dem Militärputsch im Jahr 1962 ihren Posten zu behalten.
Der Übergang Burmas zu einer Militärdiktatur war in der Region kein einzigartiger Vorgang. In Südkorea hatte General Park Chung-Hee gerade eine Diktatur errichtet, die 26 Jahre überleben sollte. Im Nachbarland Thailand herrschte Feldmarschall Sarit Thanarat, und in Pakistan kontrollierte Ayub Khan eine ähnliche Militärdiktatur.
Was Ne Win allerdings von allen anderen unterschied, war seine extreme Vorgehensweise nach dem Staatsstreich. Zunächst ließ er die demokratisch gewählten Politiker einsperren. U Nu wurde auf einer Militärbasis interniert und erst vier Jahre später wieder freigelassen. Direkt nach dem Staatsstreich unternahm Ne Win eine Reise nach China. Schon nach wenigen Tagen kehrte er zurück und zeigte sich tief beeindruckt von dem, was Mao und die Kommunistische Partei Chinas seit der Revolution von 1949 erreicht hatten. Im April 1962
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