Ikone der Freiheit - Aung San Suu Kyi
vertraute, sie in ein Restaurant mitzunehmen und ihr danach, als es Zeit war zurückzugehen, über die Mauer zu helfen. »Kein anderer Verstoß gegen die Regeln der Universität hätte mit größerer Rechtschaffenheit vonstattengehen können«, schreibt Pasternak Slater.
Bei einer anderen Gelegenheit beschloss Suu Kyi, dass es an der Zeit war, einmal auszuprobieren, was es eigentlich mit dem Alkohol auf sich hatte. Aus sozialen und religiösen Gründen hatte sie es bis dahin abgelehnt, Bier, Wein oder Schnaps zu trinken. Doch sie fand, dass sie nicht nein zu etwas sagen könne, bevor sie nicht wüsste, worum es sich handelte. Gegen Ende des ersten Semesters kaufte sie also eines Abends eine Miniaturflasche mit Sherry oder möglicherweise auch Wein und versteckte sich mit zwei indischen Kommilitoninnen in der heruntergekommenen Damentoilette. »Dort, zwischen Waschbecken und Toilettenschüssel, einem Platz, der die Geschmacklosigkeit der ganzen Sache nur umso deutlicher hervorhob, probierte sie es und entsagte dem Alkohol daraufhin für alle Zeiten.«
Sex hingegen war eine ganz andere Sache. Hier hatte sie bereits eine klare Überzeugung: Sie würde mit keinem anderen Mann Sex haben als mit dem, den sie heiratete.
»Wir anderen waren alle auf der Jagd nach einem Freund, viele wollten gern eine Affäre haben. Noch immer war Sex zur Hälfte verboten und zur Hälfte ein bereits erkundetes Terrain … für die meisten unserer gleichaltrigen englischen Kommilitonen wirkte Suu Kyis ablehnende Haltung gegenüber diesem Lebensstil beinahe ein wenig komisch.«
Als eines der Mädchen Suu einmal fragte, ob sie wirklich mit niemanden schlafen wolle, erwiderte sie: »Nein, ich werde niemals mit jemand anderem als meinem Ehemann ins Bett gehen. Und jetzt? Jetzt lege ich mich einfach ins Bett und umarme mein Kissen.«
Dies alles hieß jedoch nicht, dass Suu Kyi keine Gefühle hatte. Während ihrer Zeit am St. Hugh’s College verbrachte sie viel Zeit mit den indischen Studenten, und zu Beginn ihres Studiums verliebte sie sich in einen von ihnen. Doch das Interesse war einseitig und die Beziehung entwickelte sich niemals zu einem Liebesverhältnis. »Schon damals bekam man einen Eindruck von ihrer Hartnäckigkeit«, sagt Ann Pasternak Slater. »Von Anfang an war klar, dass er nicht dasselbe Interesse wie sie hatte, aber sie weigerte sich, aufzugeben. Sie pflegte diese Verliebtheit länger, als jeder andere es getan hätte.«
Als sie sich für St. Hugh’s bewarb, hatte sie sich bereits für Philosophie, Politik und Wirtschaftswissenschaft entschieden, eine Fächerkombination, die bei den indischen Studenten an der Universität häufig vorkam. Eigentlich wollte Suu Kyi jedoch etwas völlig anderes, und nach dem ersten Semester beantragte sie, das Fach zu wechseln und stattdessen Forstwirtschaft zu studieren. Sie war der Ansicht, dass es sich hierbei um einen praktischen Beruf handelte, der es ihr erleichtern würde, nach Burma zurückzukehren und etwas Sinnvolles für das Land zu tun. Doch in Oxford war es nicht üblich, dass die Studenten ihre Fachrichtung wechselten, und der Antrag wurde abschlägig beschieden. Nachdem sie ihr Examen abgelegt hatte, machte sie einen erneuten Versuch und bewarb sich für ein Anglistikstudium, aber auch hier wurde sie abgelehnt.
Viele von Suu Kyis Kommilitonen waren politisch engagiert. Zu jener Zeit schlug ein radikaler Internationalismus gerade seine Wurzeln in Europa und den USA . Die Welt hatte sich geöffnet, das koloniale System stand vor der Abwicklung und das Fernsehen hatte die Welt in die Wohnstuben gebracht. Studenten, die es sich leisten konnten und Zeit hatten, reisten umher, um mehr über solche Orte in Erfahrung zu bringen, wo die »Wirklichkeit« fassbarer war als in den kühlen Seminarräumen der Oxforder Universität. Man war schlichtweg nicht auf der Höhe der Zeit, solange man nicht an der Obsternte in einem israelischen Kibbuz teilgenommen oder die Armen in Indien besucht hatte. Und erst recht war man nicht richtig radikal, solange man sich nicht gegen die Aufrüstung mit Atomwaffen engagierte oder gegen das Apartheid-Regime in Südafrika protestierte.
Durch ihren Hintergrund und die Kontakte ihrer Familie war Suu Kyi natürlich weltgewandter und bereister als die meisten Gleichaltrigen, doch sie hielt sich fern von allen politischen Aktivitäten. »Als Studentin war ich an der Apartheid-Frage interessiert und trug mein Weniges dazu bei, indem ich keine Waren aus
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