Ikone der Freiheit - Aung San Suu Kyi
aber diejenigen, die bis 1962 blieben, hatten nicht so viel Glück«, berichtet Peter Carey, der 1956 im Alter von acht Jahren mit seinen Eltern Rangun verließ. »Noch bevor sie sich in ein Flugzeug setzen und aus dem Land fliehen konnten, wurden all ihre Besitztümer geplündert. Die Soldaten nahmen ihnen Trauringe, Schmuck und Bargeld ab.«
Vielleicht war es diese Zeit, an die eine Freundin von Aung San Suu Kyi einige Jahre später dachte, als sie ihr riet, den frühen Tod des Vaters nicht zu betrauern. »In gewisser Weise war es ein Segen, dass er nicht alt wurde«, sagte sie. »Er musste die destruktiven Jahre nicht miterleben.«
Nach dem Militärputsch war Khin Kyi fünf weitere Jahre als Botschafterin tätig, danach war es ihr moralisch nicht länger möglich, eine Regierung zu repräsentieren, an die sie nicht glaubte und die sie noch weniger respektierte. 1967 zog sie zurück in das Haus in der University Avenue in Rangun. Sie verzichtete auf alle öffentlichen Auftritte, und die letzten 20 Jahre ihres Lebens verbrachte sie mit Gartenpflege, Lesen und der Erörterung religiöser Fragen. Ne Win hatte das Signal verstanden. Aung San und er waren nie übereingekommen, es gibt sogar Aufzeichnungen, die besagen, dass Aung San seine Parteikollegen in der AFPFL davor gewarnt hatte, Ne Win eine zu große Kontrolle über die bewaffneten Streitkräfte zu geben.
Als sich ihre Mutter aus dem öffentlichen Leben zurückzog, hatte Aung San Suu Kyi bereits zwei Jahre in England gelebt. 1964 war sie dort hingezogen, um am St. Hugh’s College in Oxford zu studieren. Zu jener Zeit kamen in dieser traditionsreichen Universitätsstadt zehn männliche Studenten auf eine Studentin, und St. Hugh’s war eines von fünf Colleges, die speziell für Frauen vorgesehen waren. »Sie fiel mir sofort auf«, sagt Ann Pasternak Slater, die sich am selben Tag wie Suu Kyi einschrieb. »Ich entdeckte sie am anderen Ende des Raumes, als ich auf irgendeinem Empfang für neue Studenten war, und ich dachte: Du meine Güte, was für eine schöne Frau! Die muss ich kennenlernen!«
Spricht man mit anderen Menschen über Aung San Suu Kyis Zeit in Burma nach 1988, hört man oft, sie verlange so viel von ihrer Umgebung, weil sie auch von sich selbst viel verlange. »Sowohl im Privatleben als auch in der Politik ist sie davon überzeugt, dass diejenigen, die Privilegien haben, auch Verantwortung tragen müssen, und dass man dieser Verantwortung gerecht werden muss«, sagte ein burmesischer Aktivist, der mit ihr in den 1990er Jahren gearbeitet hat.
Als Studentin in Oxford beklagte sie sich zwar nicht über ihre Freunde, war aber der Ansicht, dass viele von ihnen das Studium nicht ernst genug nahmen und die Jahre an der Universität verplemperten.
»Suus figurbetonter und hübscher Longyi, ihre aufrechte Haltung, ihre starken moralischen Überzeugungen und ihre ererbte soziale Anmut standen in scharfem Kontrast zu der nachlässigen Kleidung, der entspannten Haltung, dem latenten Liberalismus und der unausgegorenen Sexualmoral meiner gleichaltrigen Kommilitonen«, heißt es in dem Aufsatz »Suu Burmese« von Ann Pasternak Slater. Der Titel spielt übrigens auf den Spitznamen an, den sie Suu Kyi gegeben hatte. Als sie einander kennenlernten, hatte Ann Pasternak Slater bereits mehrere englische Freundinnen, die Sue hießen, und so bekam die neue burmesische Bekanntschaft den Namen Suu Burmese verpasst. Der Text ist eine der persönlichsten Beschreibungen, die über Aung San Suu Kyi verfasst wurden.
Die Regeln am St. Hugh’s College waren genauso streng wie auf Suu Kyis ehemaligen Schulen, doch der Unterschied bestand darin, dass die weiblichen Studenten in Oxford alles taten, um mit diesen Regeln zu brechen. Die Studentinnen mussten abends vor zehn Uhr zu Hause sein, und daher saßen viele bis spät in die Nacht auf den Betten, unterhielten sich und tranken heiße Schokolade. Die meisten trafen sich auch mit ihren Freunden oder Liebhabern und kletterten nach Mitternacht über die Steinmauer.
Aung San Suu Kyi tat nichts davon. Sie lebte gemäß ihrer traditionellen Erziehung, war aber dennoch viel zu neugierig, um nicht einiges von dem auszuprobieren, worüber ihre westlichen Freundinnen so häufig sprachen. Nach zwei Jahren an der Universität wollte sie beispielsweise wissen, wie es war, über die Mauer zu klettern und sich unbemerkt wieder in die Schule hineinzuschleichen. Daher bat sie einen indischen Bekannten, dem sie hundertprozentig
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