Ikone der Freiheit - Aung San Suu Kyi
aber alle im Raum würden ja wohl verstehen, dass man nicht ohne irgendeinen Pass in ein anderes Land reisen könne, nicht wahr?
Schließlich kam ihr der burmesische Botschafter in London zur Hilfe. Er bestätigte, dass der Antrag eingegangen und zur Absegnung nach Rangun geschickt worden sei, dort allerdings im System feststecke. Alle im Raum wussten, dass die Bürokratie in Burma unter der Herrschaft Ne Wins extrem korrupt und ineffektiv geworden war. Einige der Anwesenden, die vorher zustimmend gemurmelt hatten, als Suu Kyi angegriffen wurde, wirkten jetzt peinlich berührt. Durch ihre ruhige und schlichte Erklärung war die knapp 25-jährige Aung San Suu Kyi nicht nur der Frage nach ihrem Pass ausgewichen, sondern hatte die ganze Unterhaltung in eine Kritik an der Entwicklung Burmas umgewandelt.
Suu Kyis unstetes Leben beinhaltete, dass sie in ihren prägenden Jahren mit radikalen Ideen über Menschenrechte und Demokratie konfrontiert wurde. In Indien war sie von Gandhis Theorien über Gewaltfreiheit und zivilen Widerstand inspiriert worden. In England war sie in Kontakt mit der Anti-Apartheid-Bewegung gekommen und hatte Menschen kennengelernt, die gegen Atomwaffen kämpften. Gleichwohl engagierte sie sich nicht aus eigenem Antrieb in einer dieser Bewegungen – weil es erstens die Arbeit der Mutter nicht zuließ, und sie zweitens, wie sie 1988 konstatierte, nicht zu »der Sorte Menschen« gehörte, die sich großen Demonstrationszügen anschloss. In New York schließlich lernte sie das UN-System von innen kennen. In ihrem späteren Leben hat sie häufig die Bedeutung der UN und der multilateralen Arbeit betont. Sie hat die UN um Unterstützung gebeten, und obwohl diese nicht immer gewährt wurde, betrachtet sie die Arbeit der Weltorganisation noch immer als einen Schlüssel für den friedlichen Übergang zur Demokratie in Burma.
Während ihrer Zeit in den USA kam sie auch in Berührung mit der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. »Die jungen Leute waren für die Liebe und gegen den Krieg«, sagte sie in einem Interview in den 1990er Jahren. »Alles war von enormer Energie geprägt. Ich war tief berührt von Martin Luther Kings ›I have a dream‹-Rede und davon, wie er versuchte, die Lebensbedingungen der schwarzen Bevölkerung zu verbessern, ohne dass dies zu neuem Hass führte. Der Hass ist das Problem, nicht die Gewalt. Gewalt ist nur ein Symptom des Hasses.«
In einem Interview mit einem Vertreter von Amnesty International sagte sie 1989, dass die Demokratiebewegung eine gewaltfreie Bewegung sei, dies jedoch nicht bedeute, dass sie von politischen Maßnahmen absehe. »Ziviler Ungehorsam hat als politische Methode eine lange Geschichte«, sagte sie und verwies insbesondere auf Gandhi und King als Vorbilder.
9.
Familienleben aus dem Koffer
Der Kontrast zwischen dem kosmopolitischen Leben, das Aung San Suu Kyi in jungen Jahren führte, und dem Alltag, an den sie sich später im Hausarrest gewöhnen musste, hätte nicht schärfer sein können. Dennoch scheint sie es mit Gleichmut aufgenommen zu haben, als sie 1989 im Haus in der University Avenue festgesetzt wurde. Die meisten in ihrem Umkreis waren in den Monaten zuvor verhaftet worden. Sie hatte gelernt, mit dem Risiko zu leben.
»Meine einzige Sorge war, wie ich die Kinder nach England bringen könnte, insbesondere dann, wenn Michael keine Einreisegenehmigung erhalten würde, um sie abzuholen«, erzählte sie später.
Die Junta indes hatte nicht die Absicht, Michael aufzuhalten. Vielmehr hofften sie, dass er sowohl die Kinder als auch Suu Kyi mit nach Oxford nehmen würde. Wenn Aung San Suu Kyi das Land verließe, würden sie sie an einer Rückkehr hindern können. Ein einfaches Ticket nach England, und das Problem wäre erledigt.
Michaels Reise Ende Juli erregte fast mehr internationale Aufmerksamkeit als Suu Kyis Verhaftung einige Tage zuvor. In
Freedom from fear
hat er darüber geschrieben. Suu Kyi war noch immer eine relativ unbekannte Oppositionspolitikerin in einem Land, für das sich im Westen jahrzehntelang niemand interessiert hatte. Auch Michael Aris war kein Prominenter, doch immerhin ein westlicher Akademiker, der für 14 Tage spurlos in einer der weltweit härtesten Diktaturen verschwand. Das Szenarium war ein gefundenes Fressen für die westlichen Medien.
Als Michael auf dem heruntergekommenen und schäbigen Flughafen Mingaladon in Rangun landete, war die komplette Landebahn von Soldaten, Militärfahrzeugen und Offizieren gesäumt,
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