Ikone der Freiheit - Aung San Suu Kyi
University of Michigan. Peter Carey half ihr mit der Bewerbung, worauf sie sich mit einem Brief bei ihm bedankte. Sie schrieb:
»Es ist phantastisch mit meinem neuen Amstrad 9512 zu experimentieren – momentan fällt es mir schwer, das Schreiben ernst zu nehmen, da es sich wie ein Spiel anfühlt, wenn man mit einem Computer schreibt. Aber Spaß beiseite: Eben habe ich die Bewerbung für Michigan fertiggestellt. Ich füge eine Kopie des Schreibens sowie meines Lebenslaufs und meiner Forschungsthese bei. Vielen Dank dafür, dass Du eine Empfehlung geschrieben hast. Ich weiß nicht, ob sie meine Bewerbung überhaupt ernst genug nehmen, um nach Referenzen zu fragen, aber es ist schön, wenn man Unterstützung von Leuten wie Dir und John (Suu Kyis Betreuer an der Universität; Anm. des Autors) hat. Ich habe meine Zeit als Mutter sehr genossen, es hat mir viel gegeben, aber der Abstand von meinen professionellen und akademischen Meriten (auch wenn ich in dieser Zeit Japanisch und Tibetisch gelernt habe) wirkt sich vermutlich nachteilig aus im Vergleich zu denen, die das Berufsleben nie verlassen haben.«
Aung San Suu Kyi scheint sich keine allzu großen Hoffnungen auf die Professur gemacht zu haben, doch die Bewerbung zeugt davon, dass sie ihre akademische Laufbahn ernsthaft verfolgte. Sie wollte sich als Forscherin im Bereich burmesischer Geschichte und Literatur etablieren. Vielleicht wäre auch etwas daraus geworden, wenn es nicht am letzten Märzabend des Jahres 1988 den bereits erwähnten Anruf gegeben hätte.
10.
Hausarrest
Als Aung San Suu Kyi 1989 zum ersten Mal unter Hausarrest gestellt wurde, konnte sie die Zukunft natürlich nicht vorausahnen. Was hätte sie wohl gedacht, wenn sie gewusst hätte, dass sie insgesamt 15 Jahre im Hausarrest würde zubringen müssen?
Wie bewältigt man solch ein Opfer? Was muss man tun, um nicht körperlich und seelisch zusammenzubrechen?
Für Aung San Suu Kyi lautete die Antwort: Integrität und Disziplin. Nach dem ersten Hausarrest berichtete sie in mehreren Interviews von der strikten Tagesroutine, die sie sich angewöhnt hatte. Jeden Morgen stand sie um halb sechs auf, meditierte im aufkeimenden Licht der Dämmerung und las danach etwas. Anschließend hörte sie Radio, vornehmlich BBC , die burmesischen Programme von Voice of America und Programme des in Oslo beheimateten Radio- und TV -Senders Democratic Voice of Burma. Wenn Michael Aris zu Besuch kam, amüsierte er sich geradezu darüber, dass sie mehr über die Geschehnisse in der Welt wusste als er.
Dann absolvierte sie ihr tägliches Training, später sogar auf einem einfachen Laufband, welches sie im Haus hatte installieren können. Im Anschluss daran nahm sie ihr Frühstück zu sich, hörte weiter Radio, las danach etwas oder spielte Klavier. Sie bevorzugte Bach, doch nach einer gewissen Zeit war das Klavier so verstimmt, dass sie ihm keinen wohlklingenden Ton mehr entlocken konnte.
Nachdem der erste Hausarrest verhängt worden war, kam ein Soldat in das Haus, kappte die Telefonleitungen und nahm den Apparat mit sich, damit Suu Kyi nicht mehr mit Freunden oder Familienmitgliedern sprechen konnte. Michael Aris hatte jedoch das Recht erstritten, ihr Pakete schicken zu dürfen, und versorgte sie ständig mit neuen Büchern. Am Vormittag las Suu Kyi politische Bücher, am Nachmittag Belletristik. Nach ein paar Jahren erhielt sie eine Ausgabe von Nelson Mandelas Autobiographie
Der lange Weg zur Freiheit
. Mandelas Bericht über das Leben unter dem Apartheid-Regime und die Gefangenschaft auf Robben Island inspirierte sie und half ihr, den Mut nicht zu verlieren. Ihre im Großbritannien der 1960er Jahre gewonnen Kenntnisse über den Widerstand gegen die Apartheid in Südafrika wurden nunmehr durch die höchst konkrete Erfahrung von Gefangenschaft und Unterdrückung ergänzt.
In der ersten Zeit ihrer Isolierung arbeitete sie häufig im Garten, besonders am Vormittag, bevor die Hitze zu drückend wurde. Sie kümmerte sich um den Rasen, die Bepflanzung am Seeufer und die Lilien, die am Haus hochwuchsen. Doch nach einer gewissen Zeit schaffte sie es nicht mehr. Das Grundstück ist sehr groß und verfügt neben dem Haupthaus noch über ein kleines Wäldchen sowie zwei Nebengebäude. Im burmesischen Klima gewinnt die Natur für einige Monate stets die Oberhand, und schon bald kursierte ein Scherz in den Straßen Ranguns: Die Junta versuche Suu Kyi zum Schweigen zu bringen, indem sie den Dschungel so dicht an ihr Haus
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