Ikone der Freiheit - Aung San Suu Kyi
sich in dieser Situation wahrscheinlich nur deshalb nicht ausgeweitet, weil sie unorganisiert und spontan gewesen waren. Es fehlte eine einigende Kraft; jemand, der den Zorn der Menschen kanalisieren und in eine konstruktive politische Bewegung verwandeln konnte. Ne Win überlebte die Krise. Erneut hatte er sich ein paar Jahre an der Macht gesichert.
Zu dieser Zeit führte Aung San Suu Kyi ein ruhiges Leben in Oxford. Die Familie lebte in einer vom St. John’s College gemieteten Wohnung; eine offene und helle Wohnung mit zwei Schlafzimmern, hohen Decken und großen Fenstern zum Hof. An den Wänden hingen farbenfrohe Wandteppiche aus Bhutan und Gemälde aus Tibet. Die Schlafzimmer waren klein. Eines davon, kaum größer als eine Garderobe, diente als Wickelraum für die Kinder und als Gästezimmer, wenn Besuch aus Burma oder Bhutan, Michaels Forscherkollegen oder jemand von der Familie aus Schottland kam. In dieser Hinsicht war Suu Kyi eine waschechte Burmesin. Reiste man in ihr Heimatland, stieß man unmittelbar auf eine enorme Gastfreundschaft; hätten die Gesetze der Junta nicht das Übernachten von »Fremden« im eigenen Heim verboten, wäre es ein Leichtes gewesen, sich einen Monat im Land aufzuhalten, ohne ein Hotel aufzusuchen.
Einer der Besucher war Thant Myint U, Enkel des ehemaligen UN-Generalsekretärs U Thant. In seinem Buch
River of lost footsteps
berichtet er von einem alltäglichen Sommernachmittag im Garten der Familie in Oxford. Die Kinder spielten auf dem Rasen. Man nahm Tee zu sich, während Michael Aris Pfeife rauchte. Aung San Suu Kyi ermunterte ihren jungen Landsmann, in England zu studieren. Das knapp umrissene Bild, das er in seinem Buch zeichnet, zeigt eine durchschnittliche Akademikerfamilie, deren Haus voller Bücher war und deren Gedanken sich meist um Forschungsund Buchprojekte drehte.
Durch Suu Kyis Aufenthalt in New York hatte Ann Pasternak Slater den Kontakt zu ihr verloren. Doch jetzt fanden sich beide in Oxford wieder, mit Kindern im selben Alter, und knüpften an die alte Freundschaft an. Pasternak Slater wunderte sich oft, wie Suu Kyi es mit all den Besuchern aushalten konnte, die wochenlang in dem kleinen Gästezimmer wohnten. Nicht einen Moment ließ sie durchblicken, dass ihr die Gäste eine Last waren. Häufig begegneten sich die beiden Freundinnen, wenn Suu Kyi auf dem Fahrrad von einem schnellen Einkauf im Zentrum zurückkam. Das Fahrrad war dann mit zahlreichen Plastiktüten voller Milch, Brot oder Früchten vom Markt beladen. »Wenn ich dann später am Nachmittag bei ihr vorbeischaute, stand sie oft in der Küche und bereitete einfache japanische Fischgerichte zu oder saß an der Nähmaschine und besserte irgendwelche Kleidungsstücke aus«, schreibt sie in
Suu Burmese
. Viele Besucher erinnern sich, dass Suu Kyi den Haushalt besorgte, während sie Kim mit sich herumtrug und Alexander zu ihren Füßen spielte.
In einem Interview aus den 1990er Jahren beschrieb die Nachbarin Nalini Jain Suu Kyi als eine Mutter, die zu Hause eine harte Disziplin an den Tag legte, sowohl was sie selbst als auch die anderen Familienmitglieder anbelangte. Von den Kindern wurde erwartet, dass sie aßen, was auf den Tisch kam, und sich nicht über die Mahlzeiten beschwerten. Auch Michael Aris hat sich einmal ähnlich geäußert; Alexander und Kim waren so darauf gedrillt, die servierte Mahlzeit zu essen, dass sie ohne zu zögern auch eine Schlange gegessen hätten, wenn Suu Kyi sie aufgetischt hätte.
Dank der Universität konnte die Familie zwar in einem Haus im Zentrum von Oxford wohnen, doch sie lebte in diesen Jahren keinesfalls im Überfluss. Als Einkommensquelle stand nur Michaels bescheidener Forscherlohn zu Verfügung, von dem zwei Kinder versorgt werden mussten. Das Paar besaß weder Auto noch Fernseher.
Nach einer Weile begann Suu Kyi, sich nach einer sinnvollen Arbeit außerhalb des Zuhauses umzusehen. »Sie achtete darauf, dass zu Hause alles hübsch und ordentlich war«, schreibt Pasternak Slater, »aber hinter den Töpfen und Pfannen in der Küche verbarg sie ihre Angst und Anspannung und das Gefühl, gefangen zu sein.« Peter Carey, der sie Ende der 1970er Jahre kennenlernte, hat ein ähnliches Bild von Suu Kyi. »Sie war sehr sorgfältig und diszipliniert und von überaus freundlichem Wesen. Sie liebte das Leben als Hausfrau und Mutter, schien aber auch nach einer Aufgabe zu suchen. Etwas, wofür sie ihr Talent und ihre Begabung einsetzen konnte. Sie hatte früh ihren Vater
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