Ikone der Freiheit - Aung San Suu Kyi
er noch Suu Kyi fühlten sich in Kyoto besonders wohl. Aus nicht ganz geklärten Gründen wurde Kim in einer Schule untergebracht, wo ausschließlich Japanisch gesprochen wurde. Es fiel ihm schwer, dem Unterricht zu folgen und neue Freunde kennenzulernen. Da es auch eine englischsprachige Schule gab, mutet die Entscheidung etwas seltsam an, aber der Hintergedanke war wohl, dass Kim Japanisch »auf die harte Tour« lernen sollte.
An der Universität von Kyoto arbeitete auch der Burmese Michael Aung-Thwin, einer der wenigen Menschen, der Suu Kyi gegenüber eher negativ eingestellt ist. Die beiden hatten nebeneinanderliegende Arbeitsräume und begegneten sich ein Jahr lang fast täglich. In mehreren Interviews äußerte Michael Aung-Thwin, dass er Aung San Suu Kyi als einen wandelnden Konfliktherd erlebt habe und dass sie darüber hinaus von ihrem Vater besessen (!) gewesen sei. »Wir argumentierten und diskutierten täglich und waren oft verschiedener Meinung«, sagte er 2009 in der Onlinezeitung
New Mandala
. »Alle wussten, dass sie ein zerrissener Mensch war, nicht zuletzt ihre japanischen Gastgeber (…) und die ganze Zeit redete sie über ihren Vater. Das hätte ich wohl auch getan, wenn mein Vater so berühmt gewesen wäre wie ihrer. Sie versuchte sogar, meine Tochter von der Berühmtheit ihres Vaters zu überzeugen, indem sie ihr eine Münze mit seinem Bild darauf zeigte. Meine Tochter war sieben Jahre alt und scherte sich keinen Deut darum.«
Die politischen Konflikte zwischen den beiden drehten sich um ihre unterschiedliche Einstellung im Hinblick auf die Militärjunta und die möglichen Wege, die für Burma in der Zukunft denkbar waren. Michael Aung-Thwin war der Ansicht, dass Ne Wins Diktatur eine gewisse Berechtigung hätte und das politische System Burmas an die spezifische Kultur und Geschichte des Landes gekoppelt sein müsse. »Demokratie hat Dezentralisierung zur Folge«, schrieb er einige Jahre später in einem Essay, »und so wie in vielen anderen Ländern führt auch in Burma Dezentralisierung zu Anarchie. Viele würden eine Militärführung vorziehen, wenn die Alternative Anarchie heißt.«
Sein Essay bezog sich auf Burma, war teilweise aber auch als Kritik an der US-amerikanischen Außenpolitik zu verstehen, die sich häufig so ausnahm, dass sie anderen Ländern das eigene politische und wirtschaftliche System aufzwang, ohne die lokalen Verhältnisse zu berücksichtigen. Grundsätzlich erforderten die ethnischen Konflikte und die hierarchischen Traditionen in Burma, dass das System auf eine andere Art als in der westlichen Welt gestaltet werden müsse. Prinzipiell ist an dieser Haltung nichts auszusetzen, das Problem dabei ist jedoch, dass Aung-Thwins Kritik in erster Linie dazu diente, die Militärjunta moralisch zu unterstützen.
Auch Michael Aung-Thwins Frau Maria äußerte sich skeptisch über Suu Kyi. »Es wirkte so, als hätte sie gar keinen Ehemann«, sagte sie. »Nicht ein einziges Mal schien sie ihn zu vermissen, und es entstand der Eindruck, als fühle sie sich umso wohler, je weiter er von ihr entfernt war. Zumindest im Hinblick auf ihre Lebensplanung schien ihr dies die bequemere Lösung.«
Diese Äußerung wurde in der Propaganda der Junta gegen Suu Kyi häufig zitiert und findet sich oft in Artikeln und Kurzbiographien wieder. Damit wird angedeutet, dass sie einige Jahre später noch andere Gründe hatte, nach Burma zurückzukehren, als nur die Pflege ihrer Mutter. Die Äußerung lässt sie als kalte und berechnende Person erscheinen, deren politische Ambitionen ihr wichtiger waren als die eigene Familie.
Kim und Suu Kyi blieben ein Jahr in Kyoto und begaben sich dann zu Michael und Alexander nach Simla. Hier blieben sie ein knappes Jahr und kehrten danach nach England zurück, wo Suu Kyi mit ihrer Doktorarbeit beginnen wollte. Gemäß den Universitätsstatuten konnte sie ihren Doktorgrad frühestens im Oktober 1989 erhalten, aber sie hatte sich vorgenommen, schnell zu arbeiten, und war tatsächlich bereits im Herbst 1988 fertig. »Ich würde diese Zeit wohl als einen von Arbeitseifer und großer Entschlossenheit geprägten Abschnitt bezeichnen«, schreibt Ma Than É, die während des Aufenthalts in Kyoto drei Monate mit Suu Kyi zusammenwohnte.
Im Frühherbst 1987 kam Khin Kyi nach Oxford, um sich einer komplizierten Augenoperation zu unterziehen. Ein paar Monate wohnte sie bei Suu Kyi und der Familie. Zur gleichen Zeit bewarb sich Suu Kyi für eine Assistenzprofessur an der
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