Ilias
Ehr erweisend, und nicht erhebe dich vornehm.
Laß uns vielmehr arbeiten wie andere! Also verhängt’ es
Zeus bei unsrer Geburt, dies lastende Weh uns bereitend!
Jener sprach’s und entsandte den wohl ermahnten Bruder;
Eilete dann, um Nestor, den Völkerhirten, zu wecken.
Diesen fand er dort am Gezelt und dunkelen Schiffe,
Ruhend im weichen Bett, und neben ihm prangte die Rüstung:
Schild und strahlender Helm und zwo erzblinkende Lanzen;
Neben ihm prangt’ auch der Gurt, der künstliche, welcher den Alten
Gürtete, wann zur mordenden Schlacht er gewappnet einherzog,
Führend das Volk; denn er achtete nicht des traurigen Alters.
Jetzo erhob er das Haupt, auf den Ellenbogen sich stützend,
Rief dem Atreiden zu und fragt’ ihn, also beginnend:
Wer bist du, der einsam des Lagers Schiffe durchwandelt,
Jetzt in der finsteren Nacht, da andere Sterbliche schlafen?
Ob du einen der Freund’ umhersuchst oder ein Maultier?
Red und nahe mir nicht ein Schweigender! Wessen bedarfst du?
Ihm antwortete drauf der Herrscher des Volks Agamemnon:
Nestor, Neleus’ Sohn, du erhabener Ruhm der Achaier,
Kenne doch Atreus’ Sohn Agamemnon, welchen vor allen
Zeus in unendlichen Jammer versenkt hat, weil mir der Atem
Meinen Busen noch hebt und Kraft in den Knien sich reget.
So nun irr ich, dieweil kein ruhiger Schlaf mir die Augen
Zuschließt, sondern der Krieg und die Not der Achaier mich kümmert.
Denn ich sorge mit Angst um die Danaer; hin ist der feste
Mut und alle Besinnung dahin; es entfliegt aus dem Busen
Mir das klopfende Herz, und es zittern mir unten die Glieder!
Aber sinnst du auf Tat, da auch dir nicht nahet der Schlummer,
Laß zu den Hütern nunmehr uns hinabgehn, daß wir erkennen,
Ob sie vielleicht, entkräftet von Kriegsarbeit und Ermüdung,
Sich zum Schlummer gelegt und ganz der Wache vergessen.
Denn das feindliche Heer ist nah uns; keiner ja weiß es,
Ob nicht selbst in der Nacht sie anzugreifen beschließen.
Ihm antwortete drauf der gerenische reisige Nestor:
Atreus’ Sohn, Ruhmvoller, du Völkerfürst Agamemnon,
Nie wird doch dem Hektor ein jeglicher Wunsch von Kronion
Gänzlich erfüllt, den er jetzt sich erträumete, sondern ihn, hoff ich,
Drängen der Sorgen hinfort noch mehrere, wenn nur Achilleus
Von dem verderblichen Zorn die erhabene Seele gewendet.
Gern begleit ich dich nun, doch laß uns auch andere wecken:
Tydeus’ Sohn, den Schwinger des Speers, und den edlen Odysseus,
Ajas den Schnellen zugleich und Phyleus’ tapferen Sprößling.
Wenn auch einer geschwind hinwandelte, jene zu rufen,
Ajas, Telamons Sohn, und Idomeneus, Kretas Beherrscher,
Deren Schiffe ja stehn am fernesten, nicht in der Nähe.
Aber ihn, den geliebten und edlen Freund Menelaos,
Schelt ich fürwahr, und wiewohl du mir eifertest, nimmer verberg ich’s,
Daß er schläft und allein dir zugewendet die Arbeit.
Ziemt’ es ihm doch, arbeitend die sämtlichen Fürsten Achaias
Anzuflehn; denn die Not umdrängt uns, ganz unerträglich!
Wiederum antwortete drauf Agamemnon der Herrscher:
Greis, zu anderer Zeit verstatt ich dir, jenen zu tadeln,
Denn oft säumt mein Bruder und geht ungern an die Arbeit,
Nicht von Trägheit besiegt noch Unverstande des Geistes,
Sondern auf mich herschauend und mein Beginnen erwartend.
Doch nun wacht’ er früher vom Schlaf und besuchte mich selber,
Und ich sandt ihn umher, daß er forderte, welche du wünschest.
Gehen wir denn! Sie finden wir sicherlich dort bei den Hütern
Außer dem Tor, wo ich ihnen bedeutete, sich zu versammeln.
Ihm antwortete drauf der gerenische reisige Nestor:
So wird kein Achaier hinfort ihm zürnen noch ungern
Folgen, sobald er einen zur Arbeit treibt und ermuntert.
Dieses gesagt, umhüllt’ er die Brust mit wolligem Leibrock;
Unter die glänzenden Füß’ auch band er sich stattliche Sohlen,
Um sich schnallt’ er darauf den purpurschimmernden Mantel,
Doppelt und weit gefaltet, umblüht von der Wolle Gekräusel;
Nahm auch die mächtige Lanze, gespitzt mit der Schärfe des Erzes,
Eilte dann längs den Schiffen der erzumschirmten Achaier.
Jetzo zuerst den Odysseus, an Ratschluß gleich dem Kronion,
Weckte der Greis aus dem Schlaf, der gerenische reisige Nestor,
Lauten Ruf, doch jenem erscholl zum Herzen die Stimme;
Und er kam aus dem Zelt und sprach zu ihnen die Worte:
Warum irrt ihr so einsam, des Lagers Schiffe durchwandelnd,
Durch die ambrosische Nacht? Was doch für Not, die euch antreibt?
Ihm antwortete drauf
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