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Ilium

Titel: Ilium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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irrelevant und belanglos.« Ich trinke. Die Wirkung der Flüssigkeit ist wie der Tritt eines Maultiers aus Missouri. Ich frage mich müßig, ob es um 1200 v. Chr. Maultiere in Missouri gibt.
    Die jungen Dienerinnen haben mich aufstehen lassen, um mir meinen Chiton und die Unterwäsche auszuziehen. Jetzt bin ich nackt. Ich komme gar nicht auf den Gedanken, verlegen zu sein. Ich bin zu müde, und das Getränk hat ein vernehmliches Summen in meinem Gehirn ausgelöst.
    »Bade, Hock-en-bär-iihh«, sagt Helena und bietet mir ihren Arm als Stütze an, während ich in die tiefe, dampfende Wanne steige. »Ich werde dich in der Wanne rasieren.«
    Das Wasser ist so heiß, dass ich wie ein Kind zurückzucke, mich vorsichtig hinunterlasse und zögere, mein Skrotum in das dampfende Wasser zu tauchen. Aber dann tue ich es doch – ich bin zu müde, um gegen die Schwerkraft anzukämpfen –, und als ich mich an die schräge Marmorrückwand der Wanne lehne und Helenas Dienerinnen mir die stoppeligen Wangen und den Hals waschen, beunruhigt es mich nicht einmal, dass Helena so nah an meinen Augen und meiner Drosselvene mit dem Rasiermesser herumfuchtelt. Ich vertraue ihr.
    Ich spüre, wie Nestors Getränk mir neue Kraft gibt. Wenn Helena mir ihr Bett anbietet, werde ich sie auf jeden Fall bitten, es in dieser letzten guten Stunde vor Tagesanbruch mit mir zu teilen. Dann schließe ich ganz kurz die Augen. Nur für ein paar Sekunden.
     
    Als ich erwache, ist es mindestens schon später Vormittag. Grelles Licht fällt durch kleine Fenster hoch oben in der Wand herein. Ich bin rasiert und sauber, sogar parfümiert. Außerdem liege ich auf einem kalten, harten Steinboden in einem leeren Raum, nicht in Helenas hohem Bett. Und ich bin nackt, splitterfasernackt; selbst das QT-Medaillon ist weg. Erst dann komme ich buchstäblich wieder zu Bewusstsein – es strömt in mein Gehirn wie widerspenstiges Wasser in ein leckendes Becken – und merke, dass ich mit mehreren Lederriemen an Eisenringe in den Wänden und im Fußboden gefesselt bin. Lederfesseln verlaufen von meinen über dem Kopf zusammengebundenen Handgelenken zur Wand. Von den gefesselten Knöcheln meiner gespreizten Beine gehen Riemen ein paar Zentimeter weit zu zwei anderen Eisenringen im Boden.
    Diese Körperhaltung und Lage wären selbst dann peinlich und erschreckend, wenn ich allein wäre, aber das bin ich nicht. Fünf Frauen stehen über mir und schauen auf mich herunter. Keine von ihnen wirkt amüsiert. Ich zerre an den Lederfesseln, als ich instinktiv versuche, meine Genitalien zu bedecken, aber die Riemen sind kurz, und ich kann meine Hände nicht einmal bis zu den Schultern senken. Und die Riemen um meine Knöchel erlauben mir auch nicht, die Beine zu schließen. Ich sehe jetzt, dass alle Frauen Dolche in den Händen haben, obwohl einige Klingen so lang sind, dass man sie mit Fug und Recht als Schwerter bezeichnen könnte.
    Ich kenne die Frauen. In der Mitte, neben Helena, steht Hekabe, die Gemahlin von Priamos, Hektors und Paris’ grauhaarige, aber attraktive Mutter. Neben Hekabe steht Laodike, die Tochter der Königin und Gattin des Recken Helikaon. Die Frau links von Helena ist Theano, Kisseus’ Tochter und Gemahlin des trojanischen Reiters Antenor, aber auch – und das ist in meiner gegenwärtigen Lage womöglich wichtiger – Iliums oberste Priesterin der Göttin Athene. Theano wird wohl nicht gerade begeistert sein zu erfahren, dass der Sterbliche, der da vor ihr liegt, sich der Gestalt und der Stimme der Göttin bemächtigt hat, der sie ihr ganzes Leben lang gedient hat. Ich betrachte Theanos grimmige Miene; vermutlich weiß sie bereits Bescheid.
    Schließlich ist da Andromache, Hektors Gemahlin, die Frau, deren Kind ich entführen und ins Exil nach Indiana bringen wollte. Ihre Miene ist die strengste. Sie klopft sich mit einem langen, rasiermesserscharfen Dolch gegen die Handfläche und macht einen ungeduldigen Eindruck.
    Helena setzt sich auf ein niedriges Sofa neben mir. »Hock-en-bär-iihh, du musst uns allen die Geschichte erzählen, die du mir erzählt hast. Wer du bist. Weshalb du den Krieg beobachtet hast. Wie die Götter sind und was du während der Nacht tun wolltest.«
    »Bindest du mich vorher los?« Meine Zunge fühlt sich geschwollen an. Sie hat mich mit einer Droge betäubt.
    »Nein. Sprich jetzt. Sag nur die Wahrheit. Theano hat von Athene die Gabe verliehen bekommen, Wahrheit von Lüge zu unterscheiden, selbst bei jemandem, dessen Akzent so

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