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Ilium

Titel: Ilium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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färbte das Meer und die Wolken in leuchtendem Gold. Der goldene Glanz des Tethys-Meeres war so hell, dass Mahnmut seine Polarisationsfilter auf eine höhere Stufe einstellen musste. Der Olympus selbst, der sich direkt am Rande des Tethys-Meeres erhob, war atemberaubend in seiner gewaltigen Größe, ein endloser Kegel aus Eisfeldern, der zu einem unmöglich grünen Gipfel mit einer Reihe blauer Seen in seiner Caldera anstieg.
    Der Streitwagen ging in den Sinkflug, und Mahnmut konnte die senkrechten, viertausend Meter hohen Steilwände am Fuß des nordwestlichen Quadranten ausmachen. Die Steilwände lagen zwar im Schatten, aber er sah auch winzige Straßen und Bauwerke auf der Küstenebene zwischen den Steilwänden und dem goldenen Ozean, die wie ein schmaler Strandstreifen wirkte, obwohl sie fast mit Sicherheit drei bis vier Kilometer breit war. Weiter nördlich, draußen auf dem Meer, war Lycus Sulci, durch Terraformen in eine Insel verwandelt, die nichts so sehr ähnelte wie einem zum Olympus Mons erhobenen Echsenkopf.
    Mahnmut beschrieb Orphu all das stimmlos auf dem Engstrahl-Kanal. »Klingt hübsch«, lautete der einzige Kommentar des Ioniers, »aber ich wünschte, wir würden diese Tour aus eigener Kraft absolvieren.«
    Gerade als Mahnmut sich in Erinnerung rief, dass er nicht hier war, um die Sehenswürdigkeiten zu genießen, ging der gottähnliche Humanoide mit seinem Streitwagen zum Gipfel des riesigen Vulkans hinunter. Dreitausend Meter über den oberen Schneehängen durchdrangen sie ein Kraftfeld – Mahnmuts Sensoren registrierten den Ozonstoß und die Spannungsunterschiede –, dann fing sich der Streitwagen für den restlichen Landeanflug auf den grünen, grasbewachsenen Gipfel.
    »Tut mir Leid, dass ich diesen Kerl im Streitwagen nicht eher kommen sehen und ein Ausweichmanöver gemacht habe«, sagte Mahnmut in den letzten Sekunden, bevor er die Verbindung zu Orphu wegen der Landung unterbrechen musste.
    »Ist nicht deine Schuld«, erwiderte Orphu. »Diese Dei ex machinae verstehen es einfach, sich an uns Literaturfreaks anzuschleichen.«
     
    Nach der Landung packte der Gott, der sie gefangen genommen hatte, Mahnmut am Genick und trug ihn ohne viel Federlesens in den größten künstlichen Raum, den der kleine Moravec je gesehen hatte. Andere Götter gingen hinaus, um Orphu, den Apparat und den Sender hereinzuholen. Weitere Götter betraten die Halle, während Zeus sich von ihrem Streitwagengott ihre Gefangennahme schildern ließ. Bei dem Gedanken, dass diese Streitwagenleute sich selbst für Götter hielten, war Mahnmut nun wohler; er nahm jetzt an, dass sie sich den Olympus Mons nicht zufällig zur Heimstatt erwählt hatten. Die in Nischen prangenden Hologramme Aberdutzender weiterer Götter und Göttinnen bestätigten seine Hypothese. Dann begann der Übergott zu sprechen, den Mahnmut für Zeus hielt, und Mahnmut verstand nur Bahnhof. Mahnmut sagte ein, zwei Sätze auf Englisch. Die graubärtigen und die jüngeren Götter runzelten verständnislos die Stirn. Mahnmut verfluchte sich dafür, dass er nie Alt- oder Neugriechisch in seinen Sprachspeicher geladen hatte. Damals, als er mit der Dark Lady in See gestochen war, um die Unterwassermeere Europas zu erforschen, war es ihm nicht gar so wichtig erschienen.
    Mahnmut versuchte es mit Französisch. Dann mit Deutsch. Mit Russisch und Japanisch. Er arbeitete sich durch seinen bescheidenen Speicher menschlicher Sprachen und formulierte immer denselben Satz – »Ich komme in Frieden und wollte nichts Unerlaubtes tun« –, bis die Zeus-Gestalt eine massige Hand hob, um ihn zum Schweigen zu bringen. Die Götter sprachen miteinander, und sie schienen nicht sehr erfreut zu sein.
    Was ist los?, sendete Orphu per Engstrahl. Der Rumpf des Ioniers lag fünf Meter entfernt auf dem Boden, zusammen mit den anderen beiden Artefakten aus der Gondel. Ihre Häscher schienen nicht einmal auf die Idee gekommen zu sein, dass diese rissige, ramponierte Schale ein empfindungsfähiges Wesen beherbergte; sie behandelten Orphu wie ein x-beliebiges Beutestück. Mahnmut hatte nichts anderes erwartet und darum für seinen Satz den Singular gewählt: »Ich komme in Frieden …« statt »wir«. Was immer die Götter mit ihm, Mahnmut, zu machen beschlossen, es gab eine klitzekleine Chance, dass sie Orphu in Ruhe lassen würden, obwohl er keine Ahnung hatte, wie der arme Ionier ohne Augen, Ohren, Beine oder Manipulatoren entkommen sollte.
    Die Götter reden miteinander, antwortete

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